Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
Vom Netzwerk:
Aber das war gar nicht so leicht, wenn Seth so dicht neben ihr lag…
    »Nimm meine Hand«, wisperte Seth und schloss seine Finger schon um Neles, sodass ihre Hände ineinander verschränkt auf Neles Bauch lagen. »Und jetzt stell dir vor, dass sich die Grenzen zwischen uns auflösen. Mein Atem ist dein Atem. Mein Herzschlag ist dein Herzschlag. Mein Traum ist dein Traum. Alles eins.«
    Nele schluckte mühsam und versuchte, seinen Worten zu folgen; wenigstens ihren Atem mit seinem in Einklang zu bringen. In ihren Fingern spürte sie Seths Puls– oder war es ihr eigener? Sie konnte es nicht sagen.
    »Und jetzt zähl deine Atemzüge.« Seths Stimme war kaum noch mehr als ein Hauch. »Von hundert abwärts.«
    Nele nickte stumm. Sicher war es das Beste, sich jetzt einfach so genau wie möglich an seine Anweisungen zu halten.
    Hundert, neunundneunzig… Noch ein Atemzug, und noch einer. Wenn sie sich darauf konzentrierte, konnte Nele wirklich nicht mehr sagen, ob sie selbst atmete oder Seth, spürte kaum noch das Heben und Senken seiner Brust an ihrem Oberarm.
    Vierundsechzig, dreiundsechzig… Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, wurden Neles Lider schwerer und schwerer.
    Siebenundvierzig, sechsundvierzig… Nein, nicht nur ihre Lider. Ihr ganzer Körper war schwer.
    Sechsundzwanzig, fünfundzwanzig…
    »Ich passe auf dich auf«, flüsterte Seth dicht an ihrem Ohr. Aber nicht einmal mehr seine Stimme konnte den Rhythmus, der Nele abwärtszog, jetzt noch stören. »Ich werde hier sein, wenn du zurückkommst.«
    Achtzehn, siebzehn… Die Welt entglitt ihr. Nele hatte noch nie erlebt, dass sie sich selbst beim Einschlafen hatte beobachten können; dass sie mit allen Sinnen spürte, wie ihre Glieder immer müder wurden, bis sie sich schwer von ihrem Verstand lösten und sie jäh in eine nachtschwarze Dunkelheit hinabglitt.
    Drei, zwei, eins… Für einige Sekunden noch spürte sie Seths Atem an ihrer Wange, und die Wärme seines Körpers ganz nah bei ihr.
    Null.
    Dann war sie fort, tauchte hinein in diese Dunkelheit, die sich schon nach dem ersten Herzschlag fremd anfühlte. Das Gefühl zu fallen, zu trudeln wie ein Blatt im Sturm, zerrte an ihrem Magen und Nele dachte noch, dass das unmöglich war– dass spätestens der Fall sie hätte wecken und in die Realität zurückbringen müssen. Aber sie wachte nicht auf.
    Tief unter sich sah sie die Grenze vorbeiziehen, von der Seth gesprochen hatte, die Grenze zwischen Träumen und Wachen. Ein pechschwarzer, felsiger Grat, der sich zu beiden Seiten in den Schatten verlor. Nele ließ ihn schnell hinter sich und stürzte weiter, tiefer, immer tiefer.
    Und dann, irgendwann, war es einfach vorbei, und sie stand mit beiden Füßen auf einem glatten Untergrund mitten in der Schwärze, ein wenig verwirrt und schwindelig noch von dem Sturz, und doch so wach wie nie zuvor.
    Trübrotes und graues Licht schimmerte durch den Spalt einer Tür, direkt vor ihrer Nase. Obwohl die Tür nur angelehnt war, schien es alles andere als einladend. Und trotzdem: es war der richtige Weg. Das spürte Nele ganz deutlich.
    Ein letztes Mal atmete sie tief durch. Dann legte sie die Hand auf die Klinke und betrat Jaris Traumwelt.

Siebentes Kapitel
    Das Haus war nun still. Die Stimmen und die Musik des Films aus dem Wohnzimmer waren verstummt, das Türgeklapper der Mutter, die doch noch ins Bett stolperte, verklungen.
    Seth hatte sich dicht an Nele geschmiegt, sodass er spüren konnte, wie ihr Brustkorb sich langsam weitete und wieder verengte. Sie hatte noch nicht zu träumen begonnen. Aber lange konnte es nicht mehr dauern.
    Behutsam ließ Seth die Hand durch Neles Haar gleiten. Die feinen Strähnen prickelten unter der nackten, empfindsamen Haut seiner Fingerspitzen, und Seth spürte ein Schnurren tief in seiner Kehle vibrieren. Das war einer der Vorzüge dieses neuen, nackten Menschenkörpers, in dem er nun wohnte: Er war so ungewohnt empfindsam, reagierte so sensibel auf Berührungen. Es war berauschend und entschädigte Seth für die vielen Widrigkeiten, die er in diesen wenigen Stunden in der Menschenwelt schon überstanden hatte – selbst für sein unrühmliches Zusammentreffen mit dem Ungeheuer, das angeblich Jaris Vater sein sollte.
    Seth vergrub seine Nase in Neles Halsbeuge und atmete tief ihren Geruch ein. Sein Sternenmädchen, das er immer noch besitzen wollte wie nichts anderes. Jetzt, nachdem er ihre weiche Haut an seiner hatte spüren dürfen und ihren Atem in seinem Haar, erst recht. Er

Weitere Kostenlose Bücher