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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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Allein bei der Vorstellung bildete sich in Neles Nacken ein kalter Schweißfilm.
    »Und wenn ich ihn finde, was mache ich dann?«, fragte sie und bemerkte beunruhigt, wie sehr ihre Stimme inzwischen bebte. »Wie kann ich ihm helfen?«
    Seth schloss kurz die Augen, als müsse er noch einmal über die Antwort nachdenken. »Nimm ihn an die Hand«, sagte er schließlich. »Bring ihn an die Grenze zwischen Wachen und Traum. Dort werde ich warten. Und was dann geschieht, überlass nur mir. Ich weiß, was zu tun ist.«
    Nele zwang sich zu einem Nicken. Ihr war inzwischen beinahe schlecht vor Aufregung. Aber zugleich spürte sie eine wilde Entschlossenheit in sich wachsen. Sie konnte wirklich etwas tun! Sie konnte Jari zurückholen. Wenn nur nicht…
    Vor ihrem inneren Auge tauchte das Spiegellabyrinth auf. Wunderschön und endlos. Neles Puls begann zu flattern. Würde es in Jaris Träumen Spiegel geben? Nervös leckte sie sich über die staubtrockenen Lippen.
    »Was, wenn ich mich verlaufe?«, flüsterte sie.
    Seth strich ihr flüchtig über das Haar. Beruhigend. Tröstlich.
    »Erinnerst du dich an mein Revier?« Seine Stimme war nun tief und ganz weich. »An die Sterne?«
    Bei der Erwähnung des Sternenmeeres, in dem sie auf ihrer Sandinsel gestanden hatte, konnte Nele nicht anders, als Seths Lächeln zumindest flüchtig zu erwidern. Sie nickte. Ja, sie erinnerte sich. Sehr gut sogar.
    Seths Lächeln wurde breiter. »Siehst du, es sind gar keine Sterne. Es sind Brotkrumen. Sie zeigen dir den Weg zurück.«
    Ein kleines Kichern, mit dem sie überhaupt nicht gerechnet hatte, stahl sich Neles Hals hinauf. An ihre erste Begegnung ins Seths Revier zu denken, tat wirklich gut. Es beruhigte sie zumindest ein wenig. Trotzdem hob sie zweifelnd eine Braue. »Das ist schon bei Hänsel und Gretel nicht gut ausgegangen. Wer ist die Krähe? Du?«
    Ein leises Lachen vibrierte in Seths Brust. »Erwischt.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, hab keine Angst. Du kannst jederzeit einen Durchgang zurück in deine eigene Traumwelt erschaffen. Genau, wie du es damals gemacht hast. Das weißt du doch noch?«
    Nachdenklich saugte Nele an ihrer Unterlippe. Tatsächlich, das hatte sie getan. Sie hatte schon gar nicht mehr daran gedacht. Es war ihr so leicht, so selbstverständlich vorgekommen. Aber zu diesem Zeitpunkt war sie ja auch noch davon ausgegangen, dass sie sich innerhalb ihrer eigenen Träume bewegte. »So einfach ist das?«
    Seth nickte. »Das ist es. Und wenn du einmal doch nicht zurückfindest– dann halte Ausschau nach mir. Ich kann dich zwar nicht begleiten, solange ich in diesem Menschenkörper stecke. Aber ich kann auf dich aufpassen und dir helfen, damit du dich nicht verläufst.«
    Nele musterte ihn argwöhnisch. »Und wie soll das funktionieren?«
    Seth lächelte, dieses schräge, halb schalkhafte Lächeln, das so gar nicht zu Jaris Gesicht passen wollte– und das ihm trotzdem, wie Nele zugeben musste, so unverschämt gut stand.
    »In meinen Augen leuchtest du wie eine Sonne. Ich kann dich immer sehen.« Er neigte sich noch ein Stück näher zu Nele hin, legte seine Finger an ihre Wange und lehnte seine Stirn gegen ihre. Nele war so überrascht, dass sie es einfach geschehen ließ. Seths Worte vibrierten warm an ihren Lippen. »Lass mich auch ein Licht für dich sein.«
    Nele spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Ein warmes Kribbeln rieselte ihren Rücken hinab. »Okay«, brachte sie heraus und hörte ihre Stimme beunruhigend atemlos klingen. »Was muss ich machen?«
    Seth zog sich ein Stück von ihr zurück und musterte sie eingehend.
    »Leg dich hin«, sagte er. »Auf den Rücken. Und versuch, dich zu entspannen.«
    Ein wenig zögernd streckte Nele sich auf dem Bett aus und bemühte sich, eine möglichst entspannte Position zu finden, während Seth aufstand, um die Schreibtischlampe auszuschalten. Dunkelheit fiel über den Raum, nur schwach erhellt vom milchigen Schein der Straßenlaterne. Seth griff nach der Bettdecke und breitete sie über Nele. Dann kroch er zu ihr darunter und schmiegte sich eng an sie.
    »Erschrick nicht«, flüsterte er. »Das gehört dazu. Vertrau mir.«
    Nele presste die Lippen zusammen und nickte, während sie versuchte, das nervöse Kribbeln zu ignorieren, das von ihrem ganzen Körper Besitz ergriffen hatte. Sie schloss die Augen und dachte an Jari. Daran, dass er irgendwo in der Traumwelt herumirrte. Sie musste ihm helfen. Das war jetzt das einzig Wichtige. Sie musste sich konzentrieren.

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