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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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die Augen. »Er ist zu weit in seine Träume vorgedrungen. Er hat sich verirrt und einen Traum fälschlicherweise zu seiner Realität gemacht. Und deswegen ist er bisher nicht wieder aufgewacht.« Er deutete in einer vielsagenden Geste an sich herunter. »Sein Geist ist, wie du siehst, zurzeit nicht in diesem Körper, sondern in der Traumwelt. Und wenn wir nichts dagegen unternehmen, wird das auch so bleiben.«
    Es dauerte eine Weile, bis Nele verarbeitet hatte, was sie da gerade gehört hatte. Das alles klang einfach unglaublich– und vor allem gefährlich. Und Seth hätte das verhindern können? Nein, er hätte es sogar verhindern müssen ! Egal wie interessant er sie fand! Ein Kloß bildete sich in Neles Hals. Sie war nicht schuld!
    Als sie endlich antworten konnte, zitterte ihre Stimme vor unterdrückter Wut. »Und was machen wir jetzt? Sollten wir uns nicht beeilen?«
    Seth legte den Kopf schief und lächelte– aufmunternd vermutlich, aber Nele fiel es gerade in diesem Augenblick schwer, die Dinge optimistisch zu betrachten. »Entspann dich.« Er stupste ihr mit dem Finger gegen die Schulter, und das schelmische Funkeln kehrte in seine Augen zurück. »Schließlich bist du diejenige, die mich hat warten lassen.« Dann ließ er sich auf die Seite fallen. Von unten sah er zu Nele hoch, in den Mundwinkeln noch immer dieses spitzbübische Grinsen. »Als Erstes schlafen wir miteinander.«
    Nele blieb der Mund offen stehen. »Willst du mich jetzt völlig vereimern, oder was?« In der Aufregung sprach sie lauter, als sie beabsichtigt hatte. Hastig dämpfte sie ihre Stimme. »Du spinnst ja wohl!«
    Aber Seth lachte nur leise und schüttelte den Kopf. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber wo, wenn nicht im Traum, glaubst du denn, deinen Freund finden zu können, wenn er sich doch in der Traumwelt verirrt hat? Und um zu träumen, musst du schlafen.« Er richtete sich halb auf und sah Nele in die Augen. Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden. »Mich brauchst du dabei, weil du in seinen Traum gehen wirst, nicht in deinen. Und das kannst du nicht allein. Verstehst du?«
    Nele blinzelte verwirrt. Um ehrlich zu sein, verstand sie gerade überhaupt nichts mehr.
    »In seinen Traum? In Jaris? Wie meinst du das?«, fragte sie unsicher.
    Seth sah sie ernst an. Immerhin schien er ihr ihre Begriffsstutzigkeit nicht übel zu nehmen. »Dann weißt du gar nicht, was du alles kannst?« Er musterte sie aufmerksam mit leicht schief gelegtem Kopf.
    Nele schwieg. Was auch immer er meinte– nein, sie wusste es nicht.
    Seth räusperte sich. »Ich habe dir ja schon vorhin gesagt, dass du etwas Besonderes bist«, erklärte er geduldig. »Weil du eine Klarträumerin bist. Das heißt, du besitzt die Fähigkeit, nicht nur deine eigene, sondern auch die Traumwelt anderer zu betreten. Du bist doch sogar schon in meinem Traum gewesen, erinnerst du dich nicht? Und jetzt stecke ich in Jaris Körper. Wenn ich dir helfe, gelangst du ganz leicht in sein Reich. Irgendwo dort wirst du ihn sicher finden.«
    Nele schluckte. Ein metallischer Geschmack lag auf ihrer Zunge. Eine Klarträumerin? Ja, sie hatte gewusst, dass die Fähigkeit, ihre Träume zu beeinflussen, so hieß. Aber ihr war nicht klar gewesen, was sie damit sonst noch tun konnte. Dieses Sternenmeer, in dem sie Seth zum ersten Mal getroffen hatte, war also sein Traum gewesen und nicht ihrer? Das ergab im Nachhinein betrachtet erstaunlich viel Sinn. Und vielleicht war es dann tatsächlich möglich, dass sie in Jaris Traumwelt gelangte? Nele schauderte unwillkürlich bei dem Gedanken.
    »Sind Traumwelten nicht unendlich groß?« Ihre Stimme kratzte unangenehm in ihrer Kehle.
    Seth nickte nachdenklich. »Kluger Einwand. Es ist gut möglich– nein, sogar wahrscheinlich, dass wir ihn nicht gleich heute Nacht finden. Noch wahrscheinlicher ist sogar, dass du erst mal eine ganze Weile brauchen wirst, um dich dort drin zu orientieren. Das ist nicht zu ändern. Aber wir haben keine andere Wahl.«
    Nele schwieg. Seth klang so überzeugt, dass es ihr schwerfiel zu bezweifeln, dass sie es wirklich schaffen konnte: Jaris Träume zu betreten. Und gleichzeitig war es genau diese Sicherheit, die ihr am meisten Unbehagen bereitete. Eine fremde Traumwelt, ein völlig unbekanntes Gebiet, gebaut aus den Wünschen und Ängsten eines Jungen, der ihr zwar unglaublich wichtig war, den sie aber nichtsdestotrotz erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal getroffen hatte. Dort sollte sie hingehen?

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