Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
Der
Schmerz war nicht mehr auszuhalten und erleichtert registrierte Edan
wie ihn erneut eine gnädige Ohnmacht von seinen Qualen erlöste. Als
er auch nach dem dritten Eimer Wasser nicht mehr zu Bewusstsein
gelangte, hielt Pickett frustriert inne.
„Wie viele sind es
jetzt?“, fragte er keuchend seinen Steuermann.
„Achtundsiebzig,
Sir!“ Thomas Slade fiel es schwer, seiner Stimme nicht anmerken zu
lassen, wie viel Abscheu er für den Mann vor sich empfand. Es war
für alle unerträglich mitanzusehen, mit was für einer
unglaublichen Freude Pickett diesen guten Mann und hervorragenden
Offizier zu Tode quälte. Nicht nur einmal war Slades Hand während
der Bestrafungsaktion zu seinem Degen gewandert. Aber schlussendlich
brachte er nicht genügend Mut auf, um das zu tun, was sich alle hier
an Bord am meisten wünschten: den Captain zu töten!
„Holt den
verdammten Niggerfreund von diesem elenden Meuterer!“ Pickett hatte
sich, noch immer hart schnaufend, zu seiner Mannschaft umgedreht.
Sein Gesicht war mit einer Schicht aus trocknendem Blut, Haut- und
Fleischfetzen bedeckt, die langsam verkrusteten. In seinen hellen
Augen leuchtete die pure Mordlust. Beides ließ ihn mehr denn je, wie
einen sadistischen Teufel aussehen.
„Ah, da ist ja unser
großspuriger Nigger!“ Pickett sah Bewembe höhnisch an, als zwei
seiner Offiziere ihn aus der hintersten Reihe nach vorne zerrten.
„Komm näher, du stinkender Affe!“ Pickett wedelte mit der
Peitsche gefährlich dicht vor Bewembes stoischem Gesicht herum. „Du
trägst dafür Sorge, dass dieser elende Hurensohn nicht stirbt!“,
zischte er dem schweigenden Neger mit böse funkelnden Augen zu.
„Denn falls er stirbt, bevor die tausend Peitschenhiebe voll sind …
geht die Reststrafe an dich!“
Er genoss es zu sehen, wie
Bewembes kugelrunde Negeraugen unwillkürlich größer wurden. Ohne
jede Vorwarnung schlug Pickett zu und lachte wild dabei, als Bewembe
instinktiv an seinen schmerzenden Oberarm griff, der plötzlich wie
Feuer brannte.
„Häng ihn ab und bring ihn unter Deck! Punkt
achtzehn Uhr will ich ihn wiedersehen – zum Rendezvous mit meiner
Peitsche!“
Die Royal Sun brauchte zwei Tage bis Havanna. In dieser
Zeit ließ Pickett Edan Chandler morgens, mittags und abends
auspeitschen. Zu seinem Ärger hielt der ehemalige Offizier nur mit
Mühe zehn Peitschenhiebe durch, bevor er wieder in tiefer
Bewusstlosigkeit versank.
Bewembe hatte alle Hände voll zu tun,
den Blutverlust in Grenzen und Edan Chandler am Leben zu halten.
Thomas Slade, der nun die Position des ersten Offiziers innehatte,
hatte es zumindest ermöglicht, dass Bewembe und Edan Chandler das
ehemalige Quartier des verstorbenen Schiffsarztes, Leyton Jackson,
beziehen konnten. Es war zwar nur ein winziger Verschlag unterhalb
des Kapitänsdecks, aber es stand eine Pritsche darin und über eine
Fensterluke gab es zumindest Frischluftzufuhr. Bewembe legte den
bewusstlosen Edan auf die Pritsche und verarztete ihn, mehr schlecht
als recht. Medikamente wurden ihnen keine zugestanden. Außer
frischem Trinkwasser, das Thomas Slade und Bewembe von ihren eigenen
Rationen abzweigten, hatte Bewembe nichts zur Verfügung. Weder
Verbandsmaterial, noch Wundsalbe. Er versuchte die schwärenden
Wunden auf Edans Rücken damit zu desinfizieren, indem er seinen
eigenen Urin darauf träufelte, wie er es bei den aufständischen
Sklaven in den Bergen gelernt hatte. Doch das half alles nichts,
solange Edan dreimal am Tag neue schlimme Wunden zugefügt wurden.
Bewembes stille Hoffnung, dass sich etwas ändern würde, sobald
sie Havanna erreichten, erfüllte sich leider nicht. Obwohl Pickett
sehr damit beschäftigt war, neuen Proviant zu laden und neue
Seeleute für die Royal Sun zu rekrutieren, ließ er es sich nicht
nehmen, die Strafaktion gegen Edan fortzusetzen. Auch am zweiten Tag,
den die Royal Sun bereits im Hafen von Havanna vor Anker lag, hatte
sich an der Strafprozedur nichts verändert. Edans unbarmherzige
Auspeitschung vor versammelter Mannschaft ging mit gleicher
Grausamkeit weiter. Einzig Thomas Slade wagte es, einmal am Tag nach
Edan zu sehen. Der Geruch von Eiter, absterbendem Gewebe und Urin
erfüllte den winzigen Raum, des ehemaligen Schiffsarztes. Obwohl
ständig Frischluft durch die offenstehende Fensterluke
hereinströmte, war der durchdringende Geruch in dem winzigen
Verschlag nicht zu beseitigen.
„Noch ein oder zwei dieser
Strafaktionen und er ist tot!“ Bewembe sah dem schweigenden Thomas
Slade
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