Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
keiner
Kollision kommen konnte.
Etwa eine Stunde später, lag das Wrack
der Brigg endlich sicher hinter ihnen und die Royal Sun konnte Fahrt
aufnehmen. Thomas Slade ließ alle verfügbaren Segel hissen und Kurs
auf Havanna nehmen.
Edan war zufrieden. Die Mannschaft hatte
Hervorragendes geleistet. Der kühle, frische Nachtwind belebte Edans
müde Knochen auf wohltuende Art.
Er wollte sich gerade an
Pickett wenden, der seit seinem Befehl an Thomas Slade eisern
geschwiegen hatte, als er über sich ein seltsames Geräusch vernahm.
Edan schaute nach oben. Zwischen Besanbaum und Mittelgaffel konnte er
einen dunklen Schatten ausmachen. Blitzschnell versuchte er zur Seite
zu springen, doch sein übermüdeter Körper reagierte viel zu
langsam. Im nächsten Moment spürte er einen harten, brutalen Schlag
an seinem Kopf, der einen Feuerball vor seinen Augen explodieren
ließ, bevor er in eine bodenlose Dunkelheit fiel.
Kapitel 36
In seinem Kopf tobte ein fürchterlicher Schmerz
und auch sein Körper fühlte sich an, als ob er an seinen Enden
auseinandergezogen würde. Nur langsam hob sich der rote Schleier vor
seinen Augen und als er sie öffnete, schloss er sie schnell wieder,
so sehr schmerzte ihn das gleißende Tageslicht.
„Macht ihn
endgültig wach – oder ihr bekommt einen Teil seiner Strafe ab!“,
hörte Edan Pickett mit gepresster Stimme schreien, bevor sich eine
kalte Ladung Wasser über seinen Kopf ergoss.
Prustend spuckte er
das salzige Wasser aus, dass in seinen Mund und seine Nase
eingedrungen war. Nur langsam kehrte sein Bewusstsein und seine
Erinnerung zurück. Er versuchte sich zu bewegen, stellte jedoch nach
wenigen Sekunden fest, dass er gefesselt war. Müde hob er den Kopf
und begann allmählich zu begreifen, was gerade mit ihm geschah.
Man
hatte ihn, in der Mitte des Schiffs, mit den Händen an den Großmast
gefesselt, sein Oberkörper war entblößt, er trug nur noch seine
Hose. Die gesamte Mannschaft hatte um ihn herum Stellung genommen.
Edan wusste, was dies bedeutete. Pickett war dabei seine Drohung
wahrzumachen und ihn auspeitschen zu lassen. Er schluckte bei diesem
Gedanken. Er hatte oft genug solchen Bestrafungen beiwohnen müssen,
um zu wissen, was dies bedeutete. Die Haut seines Rückens begann in
der kühlen Morgensonne zu frösteln. Offenbar war er die ganze Nacht
bewusstlos gewesen, oder aber sein Körper hatte all jenen Schlaf
nachgeholt, den er ihm seit Tagen verweigert hatte.
Laut und
deutlich vernahm er den Trommelwirbel, der üblicherweise eine
Bestrafungsaktion an Bord einleitete. Edan hörte Picketts heisere
Stimme, die krächzend das britische Kriegsgesetz zitierte, und Edan
seine Vergehen zur Last legte: Befehlsverweigerung, Bedrohung des
Captains, Verletzung des Captains und Meuterei. Edan wusste, auf
jeden einzelnen dieser Punkte gab es nur eine einzige Strafe: den
Tod!
Die Frage war nur, wie Pickett ihn sterben lassen würde.
Mit Sicherheit würde es ein langes und qualvolles Sterben. Innerlich
bis zum Zerreißen gespannt, hörte Edan erneut den Trommelwirbel,
der dieses mal die Urteilsverkündung ankündigte. Unbewusst hielt er
den Atem an. Auf Gnade zu hoffen war bei diesem wahnsinnigen Captain
absolut sinnlos - und dennoch tat es Edan. Er ließ es sich nicht
anmerken, aber er starb innerlich vor Angst. Er war noch so jung, so
verdammt jung! Er wollte noch nicht sterben! Er wollte leben! Leben
verdammt nochmal! Unbewusst begann er an seinen Fesseln zu zerren.
Er hörte Picketts näselnde Stimme und verfluchte diesen
elenden, grausamen Leuteschinder. Er wünschte ihn zum Teufel!
Genauso wie die Royal Navy! Vor allem aber, wünschte er seinen
verfluchten Vater zum Teufel, der ihn vor fünf Jahren hinterrücks
in die Marine gepresst hatte und der an diesem Morgen sein
erbärmliches Ziel endlich erreicht hatte: Er würde jämmerlich
sterben und sein Bruder William, der nächste Earl of Falmouth
werden.
Voller Bitterkeit dachte Edan an seine Mutter, und wie
sie sich wohl fühlen würde, wenn sie von seinem unrühmlichen Tod
erfuhr. Sie, die alles nur Menschenmögliche unternommen hatte, damit
er die fünf langen Jahre bei der Navy lebend überstand! Es würde
niemand da sein, der sie über seinen Tod hinwegtrösten konnte! Sie
hatte niemanden, außer ihm.
Was für eine bittere Ironie des
Schicksals , dachte Edan verzweifelt, dass ich nur wenige
Monate vor meiner Entlassung aus der Marine, doch noch scheitere .
Es
war verdammt schwer, angesichts des nahenden Todes Haltung zu
bewahren
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