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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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dass ich meine Wut jetzt an dieser verwirrten Jugendlichen ausließ? Und wen hatte sie schon außer ihren Freunden?
    »Wir finden eine Lösung. Du kannst jederzeit E-Mails schreiben oder chatten. Und natürlich telefonieren. Aber Lily, du darfst unter keinen Umständen jemand erzählen, wo du bist. Zumindest für eine Weile. Verstehst du das?«
    Sie lehnte sich zurück. »Das ist schon okay«, sagte sie. »Meine Freunde würden es nie verraten.«
    Ich fühlte wieder den Zorn in mir hochsteigen. Na toll, ich kannte dieses Mädchen jetzt seit fünf Minuten und verspürte schon Mordgelüste. Welch weise Entscheidung, nie Kinder bekommen zu haben. Aber wie auch immer. Wir waren im Auto und auf dem Weg zum Flughafen, der Rest würde sich finden.
    Er konnte es nicht wissen. Obwohl ich davon überzeugt war, war ich die ganze Zeit über nervös. Das Einparken
schien ewig zu dauern, und die Schlange vor dem Schalter war zwar kurz, aber langsam. Ich sah mich unentwegt um. Überraschenderweise schien Jena kein einziges Mal den Blick zu heben. Sie hielt die Augen auf den Boden gerichtet, als könnte sie damit alle Blicke und Geräusche, den Lärm und den Trubel ausblenden. Sie wirkte so anders als im Restaurant, dass es mich erstaunte. Warum war sie nicht beunruhigt? Aber er konnte nicht wissen, wo wir waren, und vielleicht war ihr das klar.
    Oder konnte er? Falls ja, wie? Ein Positionsmelder in ihrem Auto würde ihm nicht helfen - wir hatten es bei ihrer Arbeitstätte stehen lassen. Einer in ihrer Handtasche schon. Aber wenn er einen solchen hätte, wieso sollte er sie dann mit einem Anruf kontrollieren, wie er es laut Dave getan hatte? War er mir gefolgt? Oh ja, das würde funktionieren. Ich hatte rein gar keine Erfahrung mit Verfolgern und noch nicht einmal daran gedacht, nach jemand Ausschau zu halten. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er uns so weit hätte kommen lassen, wenn er uns gefolgt wäre.
    Ganz gleich, wie logisch ich es auch durchdachte, sah ich mich auf der Suche nach ihm weiterhin ständig nach allen Seiten um. Man sagt, am schlimmsten ist das Warten im Wasser, wenn die Rettungsboote unterwegs sind. Dann fürchten die Menschen die Haie. Das Flugzeug und die Freiheit waren quälend nah, und wir hatten nur den einen Versuch. Ich behielt Lily im Auge. Es war ihr zuzutrauen, dass sie sich aus dem Staub machte, und das wäre dann das Ende. Nachdem sie den anfänglichen Schock überwunden hatte, schien sie nun jedoch ganz
guter Dinge zu sein, beinahe so, als würden wir in Urlaub fahren. Sie und ihre Mutter sprachen nicht miteinander, und ich hätte nicht sagen können, ob sie eine Bindung hatten oder nicht. Ich machte mir eindeutig mehr Sorgen um Lily als Jena. Sie schien sie überhaupt nicht zu beachten, und als Lily eine Zeitschrift kaufen ging, war ich diejenige, die beiläufig aufstand, um sie zu begleiten.
    Als Lily und ich zurückkamen, begann gerade das Boarding, aber Jena war nicht da. Ich verspürte einen Moment lang Angst, dann sah ich die Notiz auf ihrem Sitz, die besagte: »Toilette.«
    Ich blieb stehen, und Lily blätterte in ihrer Zeitschrift, während die Passagiere der ersten Klasse aufgerufen wurden. Auf der Suche nach Jena starrte ich ununterbrochen den Gang hinunter. Dann begannen die Fluggäste der Touristenklasse mit dem Einsteigen. Mir drehte sich der Magen um. Ich habe keine Ahnung, wann ich es begriff, aber als sie schließlich unsere Sitzreihe aufriefen, wusste ich es. Nur war es da verdammt noch mal zu spät, um irgendetwas zu unternehmen. Ich hatte die falsche Person im Blick behalten. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war, Lily in das Flugzeug zu befördern.
    »Lily, lass uns einsteigen«, sagte ich. Ich hatte ihr Ticket. Ich hatte alle Tickets, einschließlich Jenas, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie es nicht brauchen würde.
    »Wo ist meine Mutter?« Stirnrunzelnd schlug sie die Zeitschrift zu.
    »Sie wird gleich kommen. Lass uns jetzt an Bord gehen.« Lily stand auf, drehte sich um und blickte den
Gang hinunter. Als sie sich wieder zu mir umwandte, war ihr Blick vorwurfsvoll. »Wo ist sie? Sie ist weg, stimmt’s? Und mich hat sie zurückgelassen.«
    »Lily«, sagte ich. »Sie wird nie kommen, wenn du nicht in dieses Flugzeug steigst. Wenn du aber in dieses Flugzeug steigst, glaube ich, dass sie irgendwann kommen wird. Doch das wird nicht heute sein. Wenn du nicht in dieses Flugzeug steigst, wird ihm wahrscheinlich keine von euch beiden jemals entkommen.

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