Wenn du lügst
Und wenn sie tot ist, macht er bei dir weiter.«
Sie starrte erst mich an, dann wieder den Gang hinunter. »Ich hasse sie«, sagte sie. »Es ist mir scheißegal, was mit ihr passiert. Ganz gleich, was er ihr antut, sie hat es verdient.« Dann schnappte sie sich zu meiner Erleichterung ihre Zeitschrift und ging in Richtung Flugzeug.
Ich rief Dave an, während die Maschine noch am Boden war, und informierte ihn, was geschehen war und was ich noch von Jena bräuchte, falls er es von ihr bekommen könnte. Er versprach, die Dinge zu beschaffen, falls sie zur Arbeit zurückkäme. Keiner von uns konnte einschätzen, ob Jerry sie wieder zur Arbeit gehen lassen würde. Ich konnte sehen, wie sich die Dunkelheit an den unteren Rand seiner Stimme senkte.
Was mich betraf, senkte sich die Hoffnungslosigkeit auf mich wie ein schweres Gewicht.
Ich hatte es nicht geschafft, sie zu überreden, ihn zu verlassen, und zwingen konnte ich sie nicht. Ihre Bindung zu Jerry war stärker als ihr Bedürfnis zu überleben. Ohne Lily hatte sie nun gar keinen Grund mehr zu kämpfen und sich gegen ihn zu wehren. Es war, als würde
sie vor ein fahrendes Auto fallen, ohne ihren Sturz abbremsen zu können. Aber Lily hatte sie noch mit letzter Energie beiseitegeschubst. Das zumindest musste man ihr zubilligen.
Jerry würde natürlich wissen, wo Lily war. Ich bezweifelte, dass er es aus Jena herausprügeln musste, auch wenn er es vermutlich versuchen würde. Es würde keine Rolle spielen. Ich war am selben Tag aufgetaucht, an dem Lily verschwand, und die blauen Augen, die ich an Jenas Türschwelle gesehen hatte, waren wachsam gewesen.
Irgendwie glaubte ich nicht, dass es wichtig war, ob er es wusste. Solange Jena bei ihm war, würde er Lily vermutlich in Frieden lassen. Zum einen ging es mit Jena rapide bergab, und er legte bestimmt keinen Wert auf Zeugen, wenn es zum Ende kam. Zum anderen hatte er Lily nie geschlagen, sondern sie einfach ignoriert, deshalb störte es ihn womöglich gar nicht, dass sie fort war.
Ich lehnte mich in den Sitz zurück und sah hinüber zu dem dunklen Schopf, der unverwandt auf Britney Spears hinunterstarrte. Ich schloss die Augen und spürte die scharfe, zornige Energie neben mir wie eine elektrische Bassgitarre vibrieren. Weit, weit davon entfernt nahm ich am Rand des Bewusstseins noch etwas anderes wahr - eine Art einsamer Totenklage -, aber ob es Jena war oder Lily oder das Mädchen mit den gelben Gänseblümchen auf dem Kleid vermochte ich nicht zu sagen.
kapitel 8
Lily sprach kaum im Flugzeug und hängte sich vor die Glotze, sobald wir das Motelzimmer in Raleigh betreten hatten. Sie sah nonstop fern und wollte noch nicht einmal zum Essen das Zimmer verlassen. Ich ließ Pizza kommen und hatte die ganze Zeit über das Gefühl, als wäre Lily gar nicht da. Ich versuchte, mir zu sagen, dass sie wegen der Trennung von ihrer Mutter einfach durcheinander war. Sie würde aufleben, sobald sie die Schönheit der Küste sah.
Ich wurde eines Besseren belehrt. Das Mädchen war alles andere als ein Naturfreak. Als wir am nächsten Morgen mit heruntergekurbelten Scheiben durch das ländliche North Carolina fuhren, beobachtete ich, wie der rote Lehm des Piedmont in die sandige Erde der Küste überging. Niedrige Sträucher und hohe, schlanke Pinien säumten die Straße, und während wir uns der Küste näherten, sahen wir immer mehr windgebeugte Lebenseichen, die ich so sehr liebe. Ich hatte mein Haus hauptsächlich wegen eines Baums - eine riesige Lebenseiche im Vorgarten, die ich Großmutter nannte - gekauft. Die Flora machte keinen Eindruck auf Lily. Sie sah kaum von ihrer Zeitschrift hoch, es sei denn, um zu fragen, ob wir bei irgendwelchen Einkaufscentern halten würden.
Mach dir nichts draus, dachte ich. Warte, bis sie das Meer sieht. Das Küstenland bildet lediglich die Kulisse für das Meer, und man kann kein Mensch sein, ohne dass die See nach jedem Molekül deiner DNA greift und dein Innerstes aufwühlt. Wir entstammen dem Meer. Wir bestehen noch immer hauptsächlich aus Wasser. Unsere Atemzüge geben das Muster der Wellen wieder, die auf den Strand gespült werden, so als könnten wir nicht fortgehen, ohne ihren Rhythmus mit uns zu nehmen. Ich hatte keinen Zweifel, dass Lily trotz ihrer jugendlichen Überheblichkeit auf das Meer reagieren würde.
Falls sie es tat, verbarg sie es gut. Ich chauffierte sie durch Beaufort mit seinen historischen Häusern aus dem siebzehnten Jahrhundert und machte sie auf die
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