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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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extreme Wetterbedingungen denken, haben sie Bilder von frierenden Bergsteigern vor Augen. Aus diesem Grund nehmen sie auch künstliches Klettern nicht für voll. Er wollte beweisen, dass er ein echter Bergsteiger ist, und schloss sich einer Expedition an, an der auch ich teilnahm.« Sie sah weg, erinnerte sich. Nach einem Moment sagte sie: »Es ist nicht gut gelaufen.«
    »Warum nicht?«
    »So ist das mit dem Bergsteigen. Es ist hart und gefährlich, und jeder steht mächtig unter Druck, so dass oft schlechte Stimmung herrscht. Menschen passen zusammen oder nicht. Oft tun sie es nicht. Er kam nicht mit den Gruppenleitern zurecht. Bei den schwierigen Aufgaben drängte er sich vor. Ich vermute, er wollte damit beweisen, dass er es konnte. Die anderen sahen es nicht so. Sie hielten ihn für einen Angeber. Und einige beschwerten sich, dass er nicht seinen Teil der Last trug, als wir uns zum Basislager hochschleppten. Ich fand, dass sie zu hart mit ihm waren. Er tat mir leid …«
    Ich erwiderte nichts, und einen Moment später fuhr sie fort: »Anschließend habe ich ihn jahrelang nicht gesehen, bin ihm erst nach Johns Tod wieder über den
Weg gelaufen. Er hielt einen Vortrag über die Besteigung des Cerro Torre. Dort wollte ich immer schon mal hin. Also bin ich anschließend zu ihm gegangen, um mit ihm zu sprechen.«
    »Willst du mit mir darüber reden?«, fragte ich. »Über das, was da vor sich geht?«
    »Nein.« Sie sah zu ihrem Glas hinunter.
    »Deine Tochter hat mich angerufen.«
    »Wirklich? Lily?« Sie wirkte so verblüfft, als begänne sie sich erst jetzt zu fragen, wie ich sie gefunden hatte. »Sie hasst mich. Ich mache ihr keinen Vorwurf.«
    »Ich weiß nicht, was vor sich geht, aber ganz bestimmt hasst sie dich nicht. Sie war wütend auf mich, weil ich nicht hier war, um dir zu helfen.«
    Sie sah mich einen Moment lang an, dann sagte sie: »Ich bin schlimmer als meine Mutter.«
    »Vielleicht im Moment. Aber nicht für immer.«
    »Du weißt nicht, was für immer ist. Das hier ist für immer.«
    »Es könnte heute aufhören.«
    Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Er würde mich finden. Du bist der erste Mensch, an den er denken würde. Ich habe von dir gesprochen. Er würde zuerst dich finden, und das würde ihn dann zu mir führen.«
    »Nun, er würde vielleicht mich finden, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch dich findet.«
    Sie sah mich fragend an.
    »Er würde nicht auf Betsy kommen. Er weiß noch nicht mal von ihr. Ich bin sicher, dass du bei ihr bleiben könntest, wenn du dir Sorgen machst, dass er mich aufspürt.«

    »Ich kenne Betsy eigentlich gar nicht. Sie ist deine Freundin gewesen, nicht meine. Ich habe nur ein paar Fächer mit ihr zusammen gehabt.«
    »Das ist genau der Punkt. Das heißt, er weiß nichts von ihr. Und glaub mir, Betsy kann im Moment Ablenkung gebrauchen. Sie hat außerdem eine Schusswaffe, ist unerschrocken und lebt am Ende der Welt.«
    »Ich kann nicht«, sagte sie. »Du begreifst das nicht.«
    Und das tat ich auch nicht, bis mir einfiel, was Dave über die Drogen gesagt hatte.
    »Du nimmst Drogen«, sagte ich unverblümt. »Und er beschafft sie dir.«
    Sie schwieg.
    »Was glaubst du, wie das ausgehen wird?«, fragte ich. »Denkst du, du kannst für immer so weitermachen? Wie viel Zeit bleibt dir noch? Sechs Monate? Hast du noch ein Jahr in dir? Entschuldige. Ich habe versprochen, dich nicht zu bedrängen. Du brauchst keine Drogen mehr, wenn du ihn loswirst. Falls du das nicht tust, helfen auch die Drogen nicht für immer.« Ich spürte die Dringlichkeit wie einen sauren Geschmack in meiner Kehle hochsteigen. Ich wollte Jena nicht unter Druck setzen, aber die Worte strömten trotzdem aus meinem Mund.
    »Was hat Lily gesagt?«, fragte sie plötzlich und ohne mir überhaupt zugehört zu haben. »Woher hat sie deine Nummer?«
    »Ich weiß nicht. Ich dachte, du hättest sie ihr vielleicht gegeben. Welche Rolle spielt das?«
    Statt einer Antwort zog sie ihre Armbanduhr aus und gab sie mir. Ich starrte sie verwirrt an. Jena sagte noch immer nichts. Ich drehte sie um und sah meine Telefonnummer
auf der Rückseite. Für einen Moment blieb die Welt stehen, und ich schloss die Augen, mir wurde schwindlig. Lily hatte recht. Ich hätte da sein sollen. Jena war immer irgendwo in meinem Hinterkopf gewesen - sie gehörte zu den Menschen, bei denen man sich irgendwann wieder melden will, aber das hatte ich nie getan.
    »Weiß Lily davon?«
    »Nein, sie darf es nicht wissen.« Ich

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