Wenn Du Luegst
hörte Panik in ihrer Stimme.
»Warum nicht?«
»Wenn irgendwer davon weiß …«
»… könnte er es herausfinden?«, vollendete ich den Satz für sie.
Sie nickte.
»Sie würde es ihm aber nicht verraten, oder?«
Sie bedachte mich mit einem Blick, der deutlich machte, dass ich wohl überhaupt nichts verstand.
»Wie behandelt er sie? Wird sie auch …«
»Nein, er macht etwas, das fast genauso schlimm ist. Es ist wie Meiden.«
»Wie was?«
»Wie das, was die Amischen früher praktiziert haben. Er tut so, als würde sie nicht existieren. Er spricht sie nicht an. Er deckt nicht für sie mit. Er besorgt Essen für zwei. Ich muss für sie extra einkaufen. Meistens mache ich ihr das Essen, und sie nimmt es mit in ihr Zimmer. Sie glaubt, dass er sie hasst. Sie ist inzwischen nicht mehr oft zu Hause, sondern bleibt bei Freunden.«
»Warum sollte sie es ihm also verraten? Das würde sie nicht tun.«
Jena schüttelte nur den Kopf, und ich begriff, dass ich so nicht weiterkam.
»Sie könnte sie sich auf eigene Faust besorgt haben«, schlug ich vor. »Ich hatte überhaupt keine Probleme, dich ausfindig zu machen. Hat sie in der Schule Zugang zu einem Computer?«
»Ja«, bestätigte sie. »Ja, das ist die Erklärung.« Ich wusste nicht, ob es das war oder nicht. Vielleicht hatte Lily mich übers Internet gefunden, oder vielleicht wusste sie von der Nummer auf der Innenseite der Armbanduhr, aber es schien wichtiger, Jena zu beruhigen, als etwas zu ergründen, das sich nicht ergründen ließ.
»Jena, wir können jetzt aus diesem Restaurant gehen, Lily abholen und zum Flughafen fahren. Es kann heute noch ein Ende haben.«
Sie schwieg lange, den Blick starr auf ihr Weinglas gesenkt. Nach einer Weile schien es, als würde keine Antwort mehr kommen. Aber schließlich sagte sie: »Wir können Lily mitnehmen?«
»Natürlich. Wir werden doch deine Tochter nicht zurücklassen. Hat er sie adoptiert?«
»Nein.«
»Wo soll dann das Problem sein? Er hat rechtlich nicht über sie zu bestimmen, und ihr Vater ist tot. Du hast das alleinige Sorgerecht, oder?«
Sie nickte schwach. »Und was dann?«
»Was meinst du?«, fragte ich.
»Was passiert, nachdem wir aus dem Flugzeug gestiegen sind?«
»Dann fahren wir zu Betsy und verstecken euch beide, bis sich der Sturm verzogen hat. Hör zu, ich arbeite
mit Typen wie ihm. Wenn er der ist, für den ich ihn halte, wird er sich jemand anderen suchen.«
»Du kennst ihn nicht.«
Was völlig okay für mich ist, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus. »Er ist nicht so schlimm, wie du denkst«, fügte Jena hinzu. »Ein Teil davon ist meine Schuld. Ein großer Teil.«
»Schön, also bist du schlecht für ihn - was weiß ich. Es kann nicht gut für ihn sein, in eine Art Monster verwandelt zu werden. Aber selbst wenn du ihn dazu machst, muss es aufhören.«
»Er braucht mich.«
»Jena...«
»Man kappt niemand das Seil. Das tut man einfach nicht.«
»Was ist mit Lily?«, fragte ich. »Es ist nicht okay, ihm das Seil zu kappen, aber Lily schon. Wie ist es für sie, mit jemand unter einem Dach zu leben, der sie behandelt, als würde sie nicht existieren?«
Jena antwortete nicht. »Sieh mal«, fuhr ich fort. »Ich beurteile in meinem Job ständig Menschen wie ihn. Er kann witzig und charmant sein - wann immer er das will. Wenn er dieses umwerfende Lächeln aufsetzt und sich seine blauen Augen in deine bohren, sieht er aus, als würde er streunende Katzen mit nach Hause nehmen. Er hat aber noch eine zweite Seite, nicht wahr, und man weiß nie, wann man sie zu sehen bekommt. Du erinnerst ihn daran, dass er mit dir ins Kino gehen oder ein Zimmer streichen oder den Müll rausbringen oder irgendeine andere alltägliche Sache machen wollte, und plötzlich schmettert er dein Gesicht gegen die Wand. Wenn
er erst mal angefangen hat, schlägt er einfach weiter zu und hört nicht auf, egal, was man tut.«
Jena sah mich nun scharf an. »Woher weißt du, dass er blaue Augen hat?«, fragte sie leise. »Was hast du getan? Bist du dort gewesen?«
Ich konnte es nicht abstreiten. »Ich bin heute Morgen auf der Suche nach dir hingefahren.«
»Oh mein Gott. Du hast mich belogen.«
»Nein.«
»Du hast mir ins Gesicht gelogen.«
»Nein, das habe ich nicht. Du hast nicht danach gefragt. Ich versprach, zukünftig nicht zu dir nach Hause zu kommen. Du hast mich nie danach gefragt. Ich hätte es dir noch gesagt.«
Sie schloss die Augen und ließ den Kopf nach hinten gegen das Polster sinken. Okay, auf
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