Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Du Luegst

Titel: Wenn Du Luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
Vom Netzwerk:
das mit ihrer Mutter jemals Sinn für sie ergeben? Ein Teil von Lily muss wissen, dass Jena so sicher sterben wird, als hätte sie Krebs. Verdammt, sie hat ja auch eine Art von Krebs. Hier ist also Lily, die weder eine Mutter hat noch die Möglichkeit, für sich selbst zu sorgen. Glaub nicht für eine Sekunde, dass sie sich keine Gedanken darüber macht, was passiert, wenn du sie rauswirfst. Wach endlich auf.«
    »Aber sie bemüht sich nicht mal ansatzweise«, protestierte ich.
    »So läuft das nicht.«
    Ich versuchte zu verdauen, was Betsy gesagt hatte, und so saßen wir einfach da, während Betsy rauchte und ich nachdachte. Dann richtete ich mich abrupt auf. Jena und Lily hatten das aus meinem Kopf verdrängt, worüber ich eigentlich mit Betsy sprechen wollte.

    »Betsy«, begann ich, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass Lily außer Hörweite war. Ich wusste nicht, wie ich es formulieren sollte, und ganz sicher wollte ich nicht, dass Lily es hörte.
    »Was?«, fragte sie geistesabwesend. Als ich nichts sagte, fragte sie noch einmal: »Was?«
    »Du erzählst Jimmy doch nicht alles, oder?«
    »Hmpf«, schnaubte sie. »Himmelweit davon entfernt.«
    »Du musst versprechen, mich nicht für verrückt zu halten und es Jimmy nicht zu sagen, weil der mich ganz sicher für verrückt halten würde.«
    »Du bist nicht verrückt. Und im Übrigen interessiert Jimmy sich auch nicht übermäßig für meine Freunde. Oder für mein Leben«, fügte sie hinzu.
    »Du hast noch nicht mal gehört, worum es geht«, protestierte ich.
    »Du bist nicht verrückt.«
    »Vielleicht nicht verrückt. Vielleicht bin ich nur hysterisch.«
    »Hörst du wohl auf damit? Ich kann solches Psycho-Gefasel nicht ab. Jetzt raus mit der Sprache.«
    »Ich hab etwas gesehen, das nicht real war.«
    »Sag bloß.«
    »Das meine ich nicht«, erwiderte ich. »Etwas anderes.«
    »Wie zum Beispiel?«
    Ich überlegte einen Moment, wie ich es ausdrücken sollte.
    »Jetzt spuck es einfach aus«, sagte sie. »Was erwartest du, dass ich tue? Dich erschieße, weil du ein paar Schnörkel siehst?«

    »Eigentlich waren es keine Schnörkel. Ich habe diesen Kriminellen oben in Washington State befragt, und gegen Ende des Gesprächs sah ich plötzlich so etwas wie einen Geist in dem Zimmer - ein kleines Mädchen, aus dem Augenwinkel, am äußeren Rand meines Sichtfelds. Sie hat mich einfach nur angestarrt. Natürlich hat niemand sonst sie gesehen. Sie war so real für mich, dass ich die Details ihres Kleides sehen konnte.«
    Ich hielt inne, aber Betsy gab keinen Kommentar ab.
    »Okay, ich weiß, dass es Einbildung war, deshalb versuche ich gar nicht erst, das Gegenteil zu behaupten. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es sich um eins seiner Opfer handelt.«
    »Welche Art von Opfer?«, fragte Betsy.
    »Ein totes, glaube ich.«
    »Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest.« Betsy zog an ihrer Zigarette.
    »Aber ich weiß es nicht sicher, Betsy. Und es gibt keine Möglichkeit, Gewissheit zu erlangen. In den Akten steht nichts über ein Kind. Natürlich könnte mein Kopf sich das auch einfach ausgedacht haben. Ich sehe Formen und Farben, wenn Menschen sprechen, und sie sind nicht real. Vielleicht ist an dieser Sache auch einfach eine falsche Vernetzung meiner Neuronen schuld, genau wie bei der Synästhesie.«
    »Mhm.« Betsy klang nicht überzeugt.
    »Das einzig Gute daran ist, dass sie nicht mit mir gesprochen hat.«
    »Warum ist das gut?«
    »Bei Schizophrenie sind die Halluzinationen fast immer akustisch«, erklärte ich. »In dem Film A Beautiful
Mind haben sie gelogen. In Wirklichkeit hatte er akustische Halluzinationen. Sie haben sie visuell dargestellt, damit die Geschichte als Film funktioniert.«
    »Jetzt hör schon auf«, sagte Betsy. »Du bist nicht schizophren.«
    »Du hast leicht reden. Schließlich warst nicht du es, die mitten in einer Straftäterbefragung plötzlich von einem Kind im Vorschuldalter angestarrt wurde. Ich konnte meine Neugier nicht bezähmen - also habe ich ihn darauf angesprochen.«
    »Wie bitte?«
    »Na ja, ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ein kleines Mädchen sehen, falls du das meinst. Aber ich habe ihn nach dem Vorschulkind gefragt.«
    »Und?«
    Ich sah ihr nicht in die Augen. »Er reagierte, als wäre er angeschossen worden. Vielleicht war es Zufall, jedenfalls gefiel ihm die Frage nicht. Und seine Stimme veränderte sich. Anfangs war sie messingfarben mit einem olivgrünen Schimmer. Dann wurde sie heller und sah kratziger

Weitere Kostenlose Bücher