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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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geworden?«
    »Es wäre gestorben, wie seine Mutter«, murmelte Kendra.
    »Eben.«
    »Aber sie hätte nicht fünfundsechzig Jahre lang darüber schweigen dürfen«, wandte ich ein. »Ihr hättet Hannahs Großmutter mal sehen sollen, nachdem ihr klar wurde, was das alles bedeutet. Und dass sie der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Story ist!«
    Kendra nickte, aber Rosie hob die Schultern.
    »Doch, Mom«, sagte ich. »Mrs Cohen ist überzeugte Israelin. Sie lebt dort seit über vierzig Jahren. Ihr Mann ist Rabbi. Du hättest sie sehen sollen. Sie ist den Rest des Nachmittags haltlos weinend durch das Haus gestolpert. Es war schrecklich. Irgendwann kam Esther zurück und sagte ärgerlich, sie solle gefälligst aufhören, wie eine Flipperkugel in einem zu engen Flipperautomaten herumzujagen. – Irgendwie erinnerte sie mich in diesem Moment an Old Niall. Sie sah aus wie ein Racheengel und sie ließ sich auch auf kein weiteres Gespräch ein.«
    Einen Moment schwiegen wir und Rosie nahm sich schnell einen weiteren geviertelten Muffin, während ich mit einem unwohlen Gefühl im Bauch an Old Nialls knappe, verzweifelte Lebensbeichte zurückdachte. Darüber würde ich auch noch berichten müssen, irgendwann. Leek, Rosie – und meinem Grandpa Nat. Daran führte kein Weg vorbei. In diesem Moment verstand ich Hannahs Urgroßmutter plötzlich. Manche Dinge verdrängte man lieber, als sie auszusprechen und damit Verwirrung und Traurigkeit aufzuwühlen, wie ein Hurrikan einen vorher unberührten Landstrich in einem einzigen Atemzug verwüsten konnte.
    »Und die anderen?«, erkundigte sich Kendra in diesem Moment. »Ich meine, wie haben die anderen reagiert?«
    Ich seufzte. »Hannahs älterer Bruder David war furchtbar wütend. Er hat getobt und sich aufgeregt und hat immer wieder gesagt, sein ganzes Leben sei nichts als eine große Lüge.«
    »Armer Junge«, murmelte Rosie sofort mitleidig.
    »Mr Cohen, der Rabbi, weinte auch. Aber er war sehr lieb zu seiner Frau – also zu Hannahs Großmutter – und versicherte ihr immer wieder, dass sich nichts ändern würde und dass sie die bliebe, die sie immer gewesen sei.«
    »Es sind deine Großeltern, Sky. Das scheinst du immer wieder zu vergessen«, erinnerte mich Kendra lächelnd und schluckte ihren schwarzweißen Oreon keks herunter. »Im Grunde stammst du von dieser mysteriösen deutschen Annegret ab.«
    Ich erwiderte nachdenklich Kendras Blick und dachte an meine Großeltern in Hamburg, die ja nun streng genommen nicht mehr meine Großeltern waren. Und ich dachte an deren Eltern, die ich ebenso wenig kannte, wie ich diese Annegret gekannt hatte.
    Irgendwie fühlte ich mich auf einmal schwer wie ein Stein. Und gleichzeitig merkwürdig schwerelos. Komisch, dass so etwas Widersprüchliches überhaupt möglich war.
    »Es war nur ein Kind, kein Nazikind«, sagte Rosie in diesem Moment entschieden. »Ein ganz gewöhnliches, neugeborenes Kind. Wie Moon und Sky – und Hannah …«
    Am Abend schickte ich Moon eine SMS, in der ich versuchte, ihm in knappen Worten zu berichten, was hier alles los war. Esther Mandelbaums dramatische Lebensgeschichte, Rosies erschöpfenden, aber bisher erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben, das neu gestrichene gelbe Dachzimmer.
    Aber irgendwie schienen meine getippten Handyworte ihm diesmal nicht zu reichen – denn ein paar Sekunden später begannen meine Wale zu singen.
    »Sky?«
    »Moon! Endlich! Wo bist du? Wie geht es dir?«
    Ich warf mich auf mein Bett.
    Er war an der Nordsee, am Strand, mit ein paar neuen Freunden.
    »Wir machen jeden Abend ein Feuer aus Treibholz. Wusstest du, dass Feuer aus Treibholz blaue Flammen machen, wenn man sie anzündet? Blaue Feuer, Sky! Wunderschön! – Wir schlafen auch am Strand. Vorletzte Nacht wurden wir von ein paar Betrunkenen überfallen, aber keine Sorge, mir ist nichts Ernsthaftes passiert!«
    Ich musste für einen Moment an Chrippa denken, die Moon mit ihrem zu einem Flieger gefalteten Brief aufgescheucht und auf diese Reise gebracht hatte. War ich ihr dankbar dafür? Fast war ich es.
    »Mir geht es wirklich gut, Sky«, rief Moon in diesem Augenblick über den Ozean. »Obwohl du mir natürlich fehlst. Und Rosie. Hat sie wirklich diese Prüfung bestanden, von der du geschrieben hast?«
    Ich hörte an seiner Stimme, wie sehr er sich freute, und darum bestätigte ich es schnell.
    »Und – wie ist Hannah Greenberg?«, fragte Moon als Nächstes.
    »Sky, mit wem sprichst du? Ist das Moon?«, rief Rosie in diesem Moment

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