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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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ein, sie ist schon weiter, vor ein paar Stunden hat sie die erkaltende Wange ihres Vaters geküßt.
    Während ich mich noch mit aller Kraft gegen die Wahrheit stemme, beginnt bereits dieses sinkende Gefühl, als fiele mein Kopf mit allen Gedanken, danach mein Körper an mir vorbei in eine bodenlose Tiefe, und ich erwarte von der Überbringerin der Unheilsnachricht, daß sie mich rettet, daß sie sagt: Falscher Alarm, ich habe mich geirrt.
    Der Tod gehört zum Leben, sagen die Leute, die keine Ahnung haben, weil es tröstlich klingt, aber es stimmt nicht. Er ist das Undenkbare, die uneinholbare, fremdeste Fremdheit, und deshalb sage ich im ersten Augenblick, in den ersten Stunden: Nein. Das kann nicht sein. Das glaube ich nicht. Als Ilana sagt, das Begräbnis ist übermorgen, denke ich: Jerome und Begräbnis, in einem Atemzug? Welche absurde Idee, das klingt, als sei es einer seiner makabren Scherze. Die anderen Sätze nehme ich widerstrebend hin, zusammengebrochen, Spital, ja, aber nicht Begräbnis. Andere Leute werden begraben, alte Leute, alles, nur nicht Begräbnis.
    Was soll das heißen, übermorgen? frage ich verständnislos.
    Das geht mir zu schnell, das ist zu nah und zu groß, es paßt in meinen Kopf nicht hinein, man muß mir Zeit geben.
    Rabbi Schaefer macht das Begräbnis, sagt Ilana, und morgen ist Schabbat.
    Jerome und Rabbi Schaefer? Eine weitere Absurdität. Ein ungläubiger Jude und ein frommer Rabbiner. Vor vielen Jahren, als wir nach Dedham zogen, gingen wir jeden Freitag
abend in eine andere Synagoge, aber wir konnten uns nicht einigen, wo wir uns als Mitglieder eintragen lassen wollten. Rabbi Schaefers Schul gefiel jerome, sie gab ihm das Gefühl, in seine Kindheit zurückzukehren, inmitten alter Männer, Emigranten aus Osteuropa, die Jiddisch in ihr singendes Englisch mischten. Die sind zumindest authentisch, sagte er, ein Betstiebl im Stetl, wie im neunzehnten Jahrhundert in the old country. Jerome kannte außer dem Kaddisch, das er zur Jahrzeit seiner Eltern sagte, kein einziges Gebet mehr, und sein Hebräisch bestand aus den Resten seines Bar Mizwa Unterrichts vor fünfzig Jahren, aber das störte ihn nicht, er bewegte die Lippen und wiegte den Kopf, stand mit den andern auf und setzte sich mit ihnen, er war der Jüngste und verstand es, an ihre väterlichen Gefühle zu appellieren. Ich wollte nicht in der Frauenabteilung hinter einem Vorhang sitzen, deshalb fanden wir für die Hohen Feiertage eine liberale Gemeinde mit einer Rabbinerin. Hier beteten und sangen Männer und Frauen gemeinsam in einer modernen Synagoge, die Hunderte von Besuchern faßte, nur Jerome störte die Andacht, indem er mit boshaftem Vergnügen sarkastische Bemerkungen vor sich hinmurmelte. Unter Seinesgleichen fühlte er sich als Außenseiter, er mißtraute ihrer Aufrichtigkeit. Die Bourgeoisie erschrocken, wie er es nannte, war ein Vergnügen, das er sich nie verkneifen konnte, wenn er sein Gegenüber humorloser Aufgeblasenheit vedächtigte. Aber wenn Rabbi Schaefer an einem Wochentag um die Zeit des Ma’ariv-Gebets anrief, und das kam immer öfter vor, weil seiner schwindenden Gemeinde die Männer wegstarben und keine jüngeren hinzukamen, stand Jerome sogar während des Abendessens auf und fuhr die kurze Strecke zur Synagoge. Warum machst du das, fragte ich? Weil ich ein Lamed Vav werden will, antwortete er halb im Scherz.

    Jetzt erst trifft mich die volle Wucht der Nachricht. Mit der unsinnigen Gedankenverbindung Jerome, Rabbi Schaefer und Begräbnis steigt eine erste Ahnung der Endgültigkeit dessen, was geschehen ist, in mir auf. Sie kommt von Draußen, aus einer Welt hinter einer hohen undurchdringlichen Mauer, außerhalb des Menschlichen, unmenschlich. Es ist die erste Stufe auf dem langen Weg in die Nachbarschaft des Todes.
    Sei tapfer, mein Schatz, sage ich zu Ilana, und weiß, daß es eine sinnlose Floskel ist, was ich da sage. Daß jeder Satz, der mir einfällt, mißlingen muß. Vor dem Tod verlieren die Wörter ihren Sinn, nur das Schweigen ist angemessen. Ich beneide sie um ihre Tränen. In mir breitet sich eine Kälte aus, daß mir die Zähne aufeinanderschlagen.
    Ich glaube es nicht, nicht wirklich, aber wie ein Roboter, mit der Klarheit, die mich von mir selber abtrennt, tue ich, was notwendig ist, rufe Freunde an, rufe das Reisebüro an, hole den Koffer unter dem Bett hervor und weiß nicht, was ich hineintun soll. In meiner Vorstellung bleibt das Bild unangetastet, wie er am Logan Airport mit seinem

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