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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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Toyota an den Gehsteig heranfahren und aussteigen wird, um mich zu umarmen und zu küssen und den Koffer zu verstauen. Und während mein Verstand weiß, daß ich ankommen werde und er nicht da sein wird, erwartet eine blinde, unbelehrbare Gewißheit, die sich von mir losgemacht hat, daß es so sein wird wie immer.
    Am Abend denke ich, du mußt essen, du hast seit dem Morgen nichts gegessen, es kommen schwere Wochen auf dich zu. Und weil ich aufbrechen und alles Verderbliche wegwerfen muß, stelle ich auf den Tisch, was im Kühlschrank ist, gebratenen Fisch und Avocados mit Eiern und Zwiebeln, aber die Avocados schmecken wie Sägespäne und der Fisch geht auf wie Hefe. Ich werde viele Tage nichts essen können, und
es wird Monate dauern, bis ich das, was ich hinunterwürge, wieder schmecken kann. Der Körper begreift schneller als das Bewußtsein. Der Körper ist in Aufruhr, er läßt keinen Schlaf zu, nicht eine Minute, will sich schier auflösen, von innen nach außen stülpen, er ist von einem unkontrollierbaren Zittern befallen, das Herz rast, als hetze man es zu Tode, selbst das Weinen ist ein krampfartiger Reflex.
    Wir haben uns nicht auf Wiedersehen gesagt, sein letzter Satz am Flughafen begann mit Next time. Von nun an werden die zufälligen Dinge, die mir begegnen, zu Symbolen, sie bekommen eine unheimliche Bedeutung, aber sie verweisen nirgendwohin. Es ist Samstag, und ein Flugzeug der El Al steht neben der Lufthansa-Maschine, in der ich denselben Weg zurückfliegen werde, den ich vor wenigen Tagen gekommen bin. Obwohl ich weiß, daß es purer Zufall ist, der nichts bedeutet, reißt die Erinnerung einen Abgrund auf, vor dem mir schwindelt: Wir haben uns in einem El Al-Flugzeug kennengelernt.
    Es war meine erste Reise nach Israel, ich flog einem Zwanzigjährigen nach, in dessen Gitarrespiel ich mich verliebt hatte und dem ich seither sehnsüchtige Briefe schrieb. Jerome und ich waren vor dem Check-In Schalter in Heathrow ins Gespräch gekommen. Er hatte mich mit seiner absurd spitzfindigen Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes zum Lachen gebracht. Aber keine Sorge, tröstete er mich, ich halte das Flugzeug schon mit der geballten Kraft meiner Konzentration in der Luft, nur schade, daß El Al keine kostenlosen Spirituosen ausgibt. Der breite, nachlässige Bostoner Akzent fiel mir auf, ich war an britisches Englisch gewöhnt. Und sein petrolfarbenes Hawaiihemd mit den Wassernymphen wirkte, als hätte er es darauf angelegt, lächerlich zu
erscheinen. Er war kleiner als ich, stämmig, ohne dick zu sein, und von einer Herzlichkeit, die keine Verlegenheit, aber auch keine erotische Spannung zwischen uns aufkommen ließ. Auf unseren Wunsch bekamen wir nebeneinander Sitzplätze. Ich erzählte ihm von Gary und daß er meine große Liebe sei und ich zu ihm wolle, daß es mir egal sei, ob er dort eine Freundin habe, denn wir seien füreinander bestimmt. Es fiel mir nicht auf, daß ich mich im selben Atemzug bitter über den Mann, den ich liebte, beklagte, er beantworte meine Briefe nicht, er schreibe mir kühle Aerogramme mit Listen von Dingen, die ich ihm schicken solle, Gitarresaiten, Noten, einen Rucksack, einen Schlafsack, Bücher.
    Hat Ihr Bob Dylan in spe schon einmal etwas anderes für Sie getan, als Geschenke anzufordern? fragte Jerome.
    Ich stutzte, verneinte, beeilte mich zu beteuern, daß mir das nichts ausmache.
    Wenn ich das richtige Mädchen finde, sagte Jerome, dann wird sie meine Königin sein. Ich werde ihr alle Wünsche erfüllen und alles tun, um sie glücklich zu machen. Wie viele T-Shirts haben Sie denn mit? wollte er wissen.
    Fünf, sagte ich.
    Und wie viele Röcke, wie viele Sommerkleider, wie viele Paar Sandalen?
    Nur die Jeans, die ich anhabe, gab ich zu.
    Sie müssen ihn verführen, riet er mir, aber nicht mit Gitarresaiten. Sie müssen sich hübsch machen. Sie können nicht davon ausgehen, daß Sie geliebt werden, bloß weil Sie da auf tauchen und sagen, hier bin ich. Sind Sie überhaupt Jüdin?
    Ich verneinte.
    Auch das noch, rief er in gespieltem Mitleid.
    Ich ärgerte mich über seinen Spott und sagte, daß ich ihn
eigentlich weder um seinen Rat noch um seine Meinung gebeten hätte. Dann schwiegen wir. Als der weiße Sandstrand und die flachen Dächer von Tel Aviv in Sicht kamen, fragte ich ihn, wie er sich fühle. Wie Moses auf dem Berg Nebo, sagte er und lachte, aber in seinen Augen standen Tränen.
    Wir verabschiedeten uns in der Ankunftshalle, einer großen

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