Wenn du wiederkommst
Kränkungen zerrisse, aber ich spürte zum erstenmal seit Jahrzehnten die Gewißheit, daß es uns dieses Mal gelingen würde. Wir würden das gemeinsame Leben wieder aufnehmen. Jetzt kannst du loslassen, dachte ich, jetzt kannst du aufhören zu fürchten, daß ihr euch ohne Vorwarnung wieder entzweit. Jetzt wird alles so werden, wie es von Anfang an vorgesehen war, und es eilt nicht mehr. Denn was sind Wochen oder Monate, wo du Jahre auf diesen Augenblick, in dem eure Wege wieder zusammenfinden, gewartet hast?
Kannst du dir vorstellen zu bleiben? fragte er. Ein wenig länger als sonst, wenn du im Sommer zurückkommst?
Ich nickte.
Vielleicht sollten wir doch wieder heiraten? Er warf mir einen fragenden Blick zu. Ich muß ihn erschrocken angesehen haben, denn er sagte schnell und leichthin: Wegen der Steuern und so. Nach einer Pause fügte er hinzu: Es muß ja nicht schon in diesem Sommer sein.
Im November, sagte ich, komme ich für länger, vielleicht ein halbes Jahr, dann sehen wir weiter.
Im November, wiederholte er, als versuchte er sich an etwas zu erinnern, und legte seine warme breite Hand auf meine. Wir waren nach fünfzehn Jahren zueinander zurückgekehrt und waren nicht mehr auf der Flucht und auf der Suche, aneinander vorbei und voneinander weg. Ich ahnte nicht, daß seine Gelassenheit vielleicht Erschöpfung war und sein Bedürfnis nach Nähe die Angst vor dem Tod.
Später fuhren wir zum Flughafen, und er hielt kurz im Parkverbot. Wir umarmten uns, lange, und wenn ich mich jetzt genau erinnere, mit einer Spur Verzweiflung, aber vielleicht kommt es mir nur mit dem Wissen vom Ende her so vor, so als wollte er mich nicht fortlassen. Wir küßten uns, zärtlich, vertraut, ohne Verlangen, und Jerome flüsterte: Bis zum nächsten Mal, dann wollen wir auch wieder miteinander schlafen. Ich drückte ihm einen letzten Kinderkuß auf den Mund, wie bei jedem Abschied und jedem Wiedersehen, und lachte, und mit diesem Lachen ging ich weg, drehte mich an der Eingangstür noch einmal um und winkte, er stand am Heck seines blauen Toyotas und schaute mir nach, und während ich in der Abflughalle zum Check-In-Schalter ging, fühlte ich mich so jung und geliebt, als wäre ich zwanzig und wir hätten uns vor kurzem erst kennengelernt.
Das Flugzeug stieg in einen wolkenlosen Abendhimmel
auf, gab einen langen Blick auf den Hafen und die vertraute Skyline frei, auf den glitzernden Saum des Meeres, während die Küste sich im Dunst auflöste. Es flog über den langen gekrümmten Haken von Cape Cod in die Dunkelheit, wo nur mehr der Leuchtturm von Provincetown blinkte. Ich hielt mich mit den Augen an der Landschaft fest, als könnte ich das Flugzeug mit der Kraft meines Willens hinunterziehen, als könnte ich den Lauf der Dinge aufhalten, aussteigen, bleiben. Wir haben an jenem Tag so viel mehr gespürt, als wir wußten, aber wie immer haben wir unsere Gefühle und Ahnungen nicht ernst genommen.
II
Drei Tage im Mai
Ich hatte geglaubt, ich sei von früheren Verlusten her vertraut mit der Dunkelheit, in die man unter dem Griff des Todes Stufe für Stufe hinuntergezwungen wird, aber jedesmal ist es anders. Zuerst kommt das sich Aufbäumen, denn man stößt mit dem Tod zusammen und trägt die ganze Kraft des noch ungebrochenen Lebens in diese Kollision hinein. Es beginnt mit der Todesnachricht mitten an einem angenehm bedeutungslosen Tag, und man glaubt sie nicht, weil das Unvorstellbare noch keinen Platz im Leben hat. Man verrichtet etwas, das man normalerweise am Ende des Tages bereits vergessen hätte. Nun aber wird man sich das ganze Leben lang daran erinnern, daß man gerade das Geschirr gespült und mit halbem Ohr Radio gehört hat, aber jedesmal wird man es mit dem Schwindelgefühl vor dem Abgrund tun, der im nächsten Augenblick die vertraute Welt verschlingt.
Dad hat uns verlassen, sagt unsere Tochter, und trotz des transatlantischen Rauschens in der Leitung erkenne ich am Klang ihrer Stimme beim ersten Wort, daß etwas Schreckliches passiert ist. Aber ich verweigere mich dem Wissen.
Wie meinst du das? frage ich.
Dad ist gestorben, schreit sie mit erstickter Stimme, versteh doch, er ist tot!
Nein, sage ich. Nein, das kann nicht sein, wir haben doch gestern abend erst telefoniert.
Im Hintergrund höre ich die Katzen, sie miauen, als hätten sie tagelang nichts zu fressen bekommen. Füttert denn niemand die Katzen? frage ich in meinem verzweifelten Beharren auf einem normalen Alltag. Aber Ilana geht nicht darauf
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