Wenn Eltern es zu gut meinen

entwickelte er sich dadurch, dass man häusliche Pflichten auf ordentliche
Weise erfüllte. Auch die sorgfältige Erledigung von Hausaufgaben oder die Großzügigkeit und Freundlichkeit anderen gegenüber tragen zur Entwicklung von Fleiß bei. Fleiß hängt eindeutig von Geduld ab; wenn wir unseren eigenen Gefühlen nicht erlauben können, einfach da zu sein, ohne dass wir überreagieren, können wir auch keinen Fleiß kultivieren.
    Konzentration, der fünfte Punkt auf der Liste, wird von Großzügigkeit, Disziplin, Geduld und Fleiß untermauert. Konzentration ist die Achtsamkeit, die wir auf alles verwenden, was wir gerade zu tun haben; sie sollte sowohl hellwach als auch entspannt sein. Wenn wir sowohl aufmerksam als auch gelassen sind, ermüden wir nicht so schnell, weil wir uns durch die sanfte Lenkung unseres Gewahrseins erfrischt und erneuert fühlen. Man fordert Kinder oft auf, sich beim Lernen zu konzentrieren, aber man lehrt sie selten, wie es geht. Jeder kann einfache Achtsamkeitsübungen erlernen - beispielsweise innehalten, um auf ganz gewöhnliche Geräusche zu lauschen: das Klingeln eines Telefons oder das Ticken einer Uhr. Wenn wir durch eine Tür gehen, können wir unsere Aufmerksamkeit dem Körper zuwenden, um bewusst zu erfahren, dass wir den Raum wechseln. Kleine Kinder haben Freude an solchen Übungen. Konzentration ist die Fähigkeit, unser Gewahrsein geduldig und sanft auf den Gegenstand unserer Konzentration zurückzulenken. Wenn die Gedanken abschweifen, lenken wir sie sanft wieder zurück. Wenn sie tausendmal abschweifen, lenken wir sie tausendundeinmal zurück.
    Weisheit steht an letzter Stelle und ist die natürliche Krönung aller anderen Lebensregeln. Wenn wir die ersten fünf Regeln und Übungen in unsere Beziehungen,
unsere Arbeit und unser Spiel einfließen lassen, stellen wir fest, dass uns allmählich wertvolle Einsichten aufdämmern. Weisheit ist keineswegs das automatische Ergebnis zunehmenden Alters oder größerer Erfahrung. 24 Älter zu werden bietet keine Garantie dafür, weiser zu werden. Wie ich im ersten Kapitel ausgeführt habe, belegen wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Saat der Weisheit schon früh im Leben gelegt wird, speziell durch die Art und Weise, wie wir in der Kindheit mit den Schwierigkeiten des Lebens umgehen, sie ertragen und aus ihnen lernen. Innere Stabilität an gesichts von Unzufriedenheit, Schmerz und Problemen und die Einstellung, sie als normale Begleiterscheinungen zu akzeptieren, scheinen die Wurzeln der Weisheit zu bilden. Wenn wir alle Lebensregeln auf der Liste üben und anwenden, erlangen wir dadurch eine innere Offenheit und Fähigkeit, jede Erfahrung im Leben, besonders die schmerzlichen oder schwierigen, als Chance zu sehen, das Menschsein besser zu verstehen. Wir brauchen nichts mehr zurückzuweisen, weil nichts fremd oder unvorstellbar erscheint. Mitgefühl mit uns selbst und mit anderen sind die natürlichen Früchte der Weisheit. Und die ersten drei Punkte - Großzügigkeit, Disziplin und Geduld - sind ihre wichtigsten Bausteine.
    Alle sechs Lebensregeln führen neben weiterem moralischem Training dazu, dass das Kind sich damit identifiziert, ein normaler Mensch und ein Mitglied der Gemeinschaft zu sein. Wenn ein entwickeltes Gewissen in der Spätpubertät auf das Über-Ich trifft, ist in einem normalen Kind oft schon der Keim der Weisheit angelegt, noch bevor sich das Erwachsenenleben entfaltet hat. Wie wir gesehen haben, blockieren die
Symptome des besonderen Selbst die Entwicklung des Gewissens, der emotionalen Intelligenz, des Mitgefühls und der Weisheit. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit der Rolle beschäftigen, die Religion und Spiritualität dabei spielen können, uns und unsere Kinder vor der Selbstwertfalle zu bewahren oder daraus zu befreien - indem sie uns helfen, ein mitfühlendes und gut integriertes normales Ich zu entwickeln.

KAPITEL 7
    Religion und Achtung
    Von alters her ist die Religion ein integraler Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie ist die Quelle von Regeln, nach denen wir leben, die Hüterin der Moralgesetze und die letztliche Wegweiserin zu höherer Weisheit und Sinnerfüllung. Im Guten wie im Schlechten hat die Religion Antworten auf unsere drängends ten persönlichen Fragen gegeben: warum wir hier sind, worin der Sinn unseres Lebens besteht, warum wir sterben und was uns nach dem Tod erwartet. Die Religion bietet auch Leitlinien für die Kindererziehung im Rahmen der Überzeugung, dass es in