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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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destruktive Folgen. Um solche Folgen zu vermeiden, auch wenn sie Religion an sich gutheißen, wenden sich manche Menschen der Spiritualität oder »ihrer eigenen« Religion zu, bei der sie eine Auswahl aus diversen jahrhundertealten Traditionen treffen.
    Statt dem populären Trend zu folgen, über Spiritualität zu sprechen, möchte ich jedoch mein Augenmerk auf Religion und eine religiöse Haltung im Leben richten. Für mich ist Religion fundamentaler und ernsthafter als Spiritualität. Ich habe bei jungen Erwachsenen und Jugendlichen der Generation Ich Vorbehalte festgestellt, sich auf ein ernsthaftes Nachdenken über transzendente Fragen einzulassen, obwohl sie sich sehr für Mythen und alles Übernatürliche in den populären Medien begeistern. »Ich bin okay, du bist okay«-Eltern haben mich in Therapien und bei Vorträgen wiederholt gefragt, wie sie ihre Kinder an den tieferen Sinn des Lebens heranführen sollen. Dieses Kapitel ist meine Antwort.

Die Rolle der Religion damals und heute
    Lassen Sie mich ein wenig ausholen. Bis ungefähr in die 1970er-Jahre erhielten die meisten Menschen eine religiöse Erziehung. 1 Wir gingen mit unseren Eltern
regelmäßig zur Kirche oder in den Tempel. Stadtviertel waren oft um Kirchen oder Synagogen (statt um Einkaufszentren) herum gebaut, die auch als Stätten öffent licher Begegnung dienten. Religion war ein natürlicher Bestandteil des Lebens.
    Nehmen wir die Broll-Familie als typisches Beispiel für eine von der Religion geprägte Familie um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Doris und John Broll lernten sich während der 1950er-Jahre in der Armee kennen, und obwohl sie aus geografisch höchst unterschiedlichen Gegenden stammten (er ein Farmjunge aus Texas und sie ein Mädchen aus einer Stadt an der Ostküste) stellten sie fest, dass sie aufgrund ihrer katholischen Erziehung viel gemeinsam hatten. Sie heirateten und setzten rasch nacheinander drei Kinder in die Welt: Stephen, Mary und David. Sie erwarben ein neues Haus in einer Bungalowsiedlung, wo sie sich niederließen, um ihre Kinder großzuziehen. Doris blieb selbstverständlich zu Hause, um für die Kinder zu sorgen.
    Jeden Sonntag ging die Familie zur 7-Uhr-Messe und anschließend aus, um gemeinsam zu frühstücken. Die beiden Söhne wurden Messdiener. Alle drei Kinder erhielten Religionsunterricht und wurden im Alter von 14 Jahren gefirmt. Die Geschichte der Brolls könnte ebenso gut jüdisch wie christlich sein. Sie war die Regel und nicht die Ausnahme.
    Heute sind die drei erwachsenen Kinder der Brolls verheiratet und haben selbst Kinder. Stephen, der Älteste, ist mit Mitte 20 aus der katholischen Kirche ausgetreten und interessiert sich für das Judentum. Mary trat in ihrer College-Zeit aus der Kirche aus und fühlt sich zu keiner Religion mehr hingezogen. David geht jeden Sonntag in die katholische Messe, während
seine Frau und Tochter einer Unitariergemeinde angehören.
    Alle drei erwachsenen Kinder der Brolls bestätigen, dass die Religion einen großen Einfluss auf ihr Leben hatte: Sie entwickelte ihren Sinn für die Notwendigkeit rechten Handelns, das Gefühl, dass ihre Taten zählten, und den Glauben, mit der gesamten Menschheit sowie mit einer tieferen Quelle verbunden zu sein. Sie haben auch mit den negativen Nachwirkungen der Religion ihrer Kindheit zu kämpfen: Schuldgefühlen, Angst und Konflikten mit den kirchlichen Lehren über Sexualität und Sozialpolitik. Auch wenn die Kinder der Brolls gegen ihre Religion rebellierten, sagen sie, dass sie sie geprägt hat, ihnen viel bedeutet und ein bleibender Teil ihrer Identität ist. Trotz der Tatsache, dass sie in den letzten 20 Jahren nur bei der Beerdigung ihrer Mutter gemeinsam in der katholischen Kirche waren, schätzen sie ihre katholische Erziehung als Teil dessen, was sie sind.
    Für ihre Kinder gilt das nicht. Ihre eigenen Söhne und Töchter, die nächste Generation, wurden als Kinder selten mit in die Kirche genommen und können mit dem Katholizismus nichts anfangen. In einer Zeit, in der der Name Gottes eher mit Politik, Krieg und sexuellen Skandalen in Verbindung gebracht wird als mit Pfarrfesten, sind sie in einem vollkommen anderen religiösen Klima aufgewachsen. Daher kennen sie keine der »katholischen Schuldgefühle«, die ihre Eltern im mer noch plagen. Ebenso wenig kennen sie eine Tradition, die Werte wie Wahrheit, Liebe, Dienst, Glaube, Hoffnung, Schönheit und Ritual hochhält. Das gilt für viele der heutigen jungen Erwachsenen. Ihnen

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