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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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sich.
    Und dann sehe ich im Lichtkegel mein Spiegelbild, bleich wie der Tod, weiß auf rot. Ich liege auf dem Bauch und starre in mein totes Gesicht, unmittelbar unter mir im Schnee, nur dass es Sandras Gesicht ist, das da wie in einem Schneegrab unter mir liegt. Nur eine Frosthaut trennt uns. Ich hauche entsetzt auf die Augen und will, dass sie mich ansehen. Ich hauche auf die bleichen Lippen, sie sollen bitte lächeln. Wach auf!
    Hände schieben sich unter meine Achseln und reißen mich hoch.
    »Schuhuuuu!« Ich schreie wie der Engel. Und dann noch mal, gellend: »Das bin ich! Ich bin tot!«
    Ich werde zurückgezerrt, und ich weiß nicht, will ich liegen bleiben oder nicht? Ich weiß gar nichts mehr, bis mir Riski seinen Flachmann an die Lippen setzt und mir eine brennende Flüssigkeit die Kehle hinunterrinnt. Mit seiner Mütze reibt er mir das Gesicht trocken. Dann huste ich und er hält mich fest. Dabei redet er ununterbrochen, mal mit mir, mal brüllt er in sein Handy. Der Empfang ist schlecht.
    »Wir müssen zurück«, sagt er, legt mir das Stirnband mit der Lampe um und zurrt es fest. »Los! Auf gehts!«
    Der Druck tut gut. Er verhindert, dass mir der Kopf platzt. Ich suche unsere Spur und eiere mit weichen Knien los. Die Schnee-Eule ist weg. Kein Engel weit und breit. Halt gibt mir, dass Riski hinter mir mit »Weiter-weiter-weiter!«-Rufen Tempo macht, und ich laufe und atme und laufe und denke: Sandra ist tot. Mit dem Laufen kommen klare Gedanken, ich laufe und meine Gedanken überschlagen sich: Wieso Sandra? Sandra, die nie läuft und mit meinen Klamotten und meiner Frisur unterwegs war? Das muss doch eine Verwechslung sein! Sollte ich etwa tot sein? Ich taumle kurz. Weiter-weiter-weiter! Ich laufe und denke: meine knallrote Mütze, meine Haare, meine Jacke. Ich sollte tot sein, nicht Sandra. Im Licht der Stirnlampe sehe ich vor mir wieder mein bleiches Gesicht unter meiner Mütze auf dem roten, blutigen Eisblockkissen liegen, und ich laufe schneller, atme tiefer. Sandra hat sich nicht zum Schlafen in den Schnee gelegt. Ich binnicht tot, ich lebe, aber ich sollte tot sein, denke ich und warte auf die kalte Angst, die nach mir greift. Aber sie kommt nicht. Viel stärker als Angst spüre ich Gewissheit. Ich sollte tot sein, da bin ich mir sicher, aber mit dem Gefühl der Gewissheit wächst in mir plötzlich etwas Neues. Ein Hauch von einer Ahnung, dass ich stärker bin, als ich bislang glaubte. Ich lebe noch und ich lasse mich nicht unterkriegen, denke ich, als in der Ferne die Lichter des Camps auftauchen.

8
Schockwelle
    Statt Kaffee kriege ich Tee und ein Beruhigungsmittel, das ich verschwinden lasse, weil ich dringend nachdenken muss. Beck packt mich unter Decken in der Ecke des Küchencontainers auf ein Notlager.
    »Ich bin total nass geschwitzt«, protestiere ich matt.
    »Eben deshalb.«
    Er lässt mich nicht aus den Augen, und ich wäre so gern allein.
    Riski hat sich umgezogen und ist mit dem Chef der Hundeführer und dem Schneemobil unterwegs. Der Rest der Staffel ist abgezogen. Unsere Betreuer warten auf die Polizei. Tonberg sitzt vor dem Telefon. Jemand hämmert mit den Fäusten gegen die Stahltür. Seufzend öffnet Tonberg die Tür. »Frühstück gibt’s nicht vor neun.«
    »Wie geht’s Sandra? Wo ist sie?« Verzweiflung steckt in Koljas Stimme.
    »Bleib bei den anderen, bitte. Sobald ich Näheres weiß, ruf ich dich.« Tonberg will die Tür zudrücken, aber Kolja stemmt sich dagegen.
    »Tilly! Was ist mit Sandra?« Die Tür fällt ins Schloss.
    »Wo ist sie? Tilly!« Ich höre ihn durch die Tür schluchzen.
    Grauenhaft. Ich schließe die Augen und sehe den Eulenengel wie gemeißelt auf dem Eisbusch sitzen. Ein Grabmal aus Eis. Und Sandra im Schneehügelgrab. Weiß in weiß, kalt und tot und rotes Eis. Wie ein Schleier, die Frostschicht über ihrem Gesicht. Die knallrote Mütze auf ihrem schwarzen Haar und über ihrer Brust der blau schimmernde Schnee. Tränen laufen mir übers Gesicht, ich zittere vor Angst, denn unter diesen Bildern liegen andere, alte Bilder, Albtraumbilder, die ich nicht sehen will. Die ich nicht sehen kann, denn sie treiben mir Splitter in die brennenden Augen. Schnee und Blut. Blut im Schnee. Unzusammenhängende Bruchstücke, ein einziges furchtbares Durcheinander. Mein Herz hämmert wie verrückt. Morgen, morgen, wenn ich laufe, setze ich sie zusammen und sehe sie mir an. Nicht jetzt, sage ich mir. Mein Schultern zucken.
    Beck gibt mir Taschentücher. Trauer liegt in

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