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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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voll.«
    »Wieviel Geschwister hast du?«
    »Acht. Ging Schlag auf Schlag, wenn der Alte nicht im Knast war. Ich war schwächlich, deshalb hat mich Tante Mandy zu sich genommen. Wär lieber bei ihr geblieben.«
    »Echt? Wieso?«
    »Meine Alten waren nicht immer zu besoffen, um uns nicht halb totprügeln zu können. Und ich war ihr Lieblingsopfer.«
    »Wie bei Kolja. Haben sie dich auch sexuell missbraucht?«
    Ich sehe Sandra an. »Möchte gern mal wissen, was sich andere Mädchen im Feriencamp erzählen.«
    Sie schluchzt auf. »Ich wäre gern ein normales Mädchen.«
    Ich auch. »Nach Missbrauch fragen mich die Psychologen auch immer, wenn ich mal wieder durchdrehe. Ich hab keine Ahnung. Ich kann mich an nichts erinnern, was vor der Einschulung war. Du?«
    Sandra nickt und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. »Nadi hat mich mit neun von Omi abgeholt. Damals hat sie mit ihren vier Sultanen zusammengewohnt. So hat sie die Arschlöcher genannt. Die haben sich mit ihr im Zimmer eingeschlossen. Wenn sie rausgekommen ist, hat sie geheult. Aber erst, als sich die Sultane an mich rangemacht haben, ist sie endlich mit mir abgehauen.«
    Wir sitzen auf der Schneekanone, halb unter der Plane. Ich starre ins Polarlicht. Wie kann etwas so schön sein?
    »Mit dreizehn hab ich in der Seitenstraße gearbeitet, Nadi in der Hauptstraße. Zwischen der Haupt- und Seitenstraße gab’s ewig Stress, deshalb hab ich für ’n Typ Drogen vertickt. Und weil ich selber keine nehme, bin ich ziemlich schnell aufgestiegen und hab nur noch Geld eingetrieben. Der Boss hat mir ’ne Kanone besorgt. Alle haben sofort geblecht, wenn ich ihnen die an den Kopf gehalten hab. War echt baff, wie gut das funktioniert hat. Aber ewig wär’s nicht gut gegangen, das war klar. Ich kenn den Boss. Er kennt mich. Und Nadi war süchtig. Also bin ich zum Jugendamt, und die haben mich ins Heim gesteckt. Als mir Omi gesagt hat, dass Nadi ihren Stoff nicht mehr zahlen kann, hab ich gewusst, dass sie bald tot ist.«
    Mir kommt die Welt, trotz des Polarlichts, schwarz und dunkel vor. Ganz ohne Licht. Ich halte Sandra fest, weil sie so weint.
    »Vor drei Monaten hat man Nadi mit ’ner Überdosis in ’ner fremden Wohnung gefunden. So machen die es immer, damit die Leute auf Turkey nicht mit den Bullen reden. Ich weiß genau, wer meine Mutter umgebracht hat. Und er weiß genau, dass ich es weiß. Wenn er rauskriegt, wo ich bin, bringt er mich auch um.«
    »Hier findet er dich nie. Niemand findet uns hier.« Ich würde es gern glauben und schaukle mit ihr hin und her.
    »Ich rufe jede Nacht mit ’nem geklauten Handy auf dem Festnetz vom Boss an. Wenn er rangeht, leg ich auf«, flüstert Sandra.
    Sie kontrolliert, ob er in Frankfurt ist.
    »Geht er nicht ran, kann ich nicht schlafen.«
    Sandra ist vierzehn.
    Kolja ist fünfzehn. Von ihm erzählt Sandra: »Wenn sein Vater besoffen war, hat er zuerst die Mutter zusammengeschlagen, dann ihn. Vor einem Jahr hat der Alte Koljas kleine Schwester im Suff die Treppe runtergeworfen, worauf Kolja ihn mit dem Schirmständer halb totgeschlagen hat. In der Reihenhaushälfte daneben wohnt ein Polizist. Er hat ausgesagt, dass Koljas Vater ein sehr netter und hilfsbereiter Nachbar sei. Kolja und seine Mutter würden nichts taugen und sollen den armen Mann zur Verzweiflung getrieben haben. Von Misshandlungen hat er angeblich nichts mitgekriegt, obwohl Kolja und seine Mutter meistens grün und blau geschlagen waren, Rippenbrüche gehabt haben und so weiter. Die Ärztin vonder Mutter hat ausgesagt, die Verletzungen infolge der vielen Stürze seien ihr nicht ungewöhnlich vorgekommen. Und Kolja haben sie in der Schule ausgelacht, weil er vor Schmerzen immer hingefallen ist. Kein Schwein hat ihnen geholfen. Niemand. Stell dir das vor.«

7
Bergfest
    Als ich laufen gehen will, sind meine Jacke und Mütze verschwunden. Einfach weg. Ich kapier das nicht. Mein Besitz ist überschaubar.
    »Haust du wieder ab und lässt uns den ganzen Scheiß allein machen?«, ätzt Vanessa auf dem Weg zum Klo.
    »Weißt du, wo meine Jacke und Mütze sind?«, frage ich zurück.
    »Deine Klamotten würde ich nich mal als Putzlappen nehmen.« Rums. Die Badezimmertür ist zu.
    Ich wickle mir einen Schal um die Ohren und ziehe all meine Pullis übereinander.
    Riski steht vor seinem Container. »Komm! Ich warte nicht länger«, brüllt er ungeduldig.
    Heute ist Bergfest, wir können nicht lange laufen.
    »Wo sind meine Skier?«, frage ich ihn. Normalerweise

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