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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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seinem Blick, aber er fragt nichts. Ein Abgrund tut sich auf und zerrt an mir. Es ist so schwer, Koljas Verzweiflung und Becks Trauer auszuhalten. Ich dämmere weg und kriege kaum mit, dass Tonberg den Küchencontainer verlässt.
    1. 4. 10, Berlin
    Ich bin ganz klein und liege tief unten in meinem Grab. Oben am Rand steht ein Mann. Sein riesiger Mund bewegt sich. Ich verstehe nicht, was er sagt. Er wirft Steine auf mich. Es regnet Steine, aber ich spüre nichts. Ich will nur schlafen. Schlafen wie ein Stein.
    Werde nach dem Albtraum im Krankenhaus wach. Die Heimleitung will mich loswerden.
    Ich weiß nicht, wie lange ich bleiben muss.
    Draußen stauen sich die Polizeifahrzeuge. Schneemobile fahren zwischen Camp und Sandras Grab hin und her.
    »Was hast du gesehen?«
    Ich kann Beck kaum verstehen und flüstere: »Sandra ist tot. Unter ihr war Blut.«
    »Ist sie gestürzt und hat sich verletzt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Sie ist ziemlich weit raus auf die Loipe gefahren. Da waren keine Steine.«
    Er seufzt tief, schüttelt den Kopf und fragt nicht weiter.
    »Kann ich nach der Maßnahme zu dir?«, frage ich ihn mit kieksender Stimme, bettelnd. Was für ein Zeitpunkt! Ich könnte mich ohrfeigen und atme nicht, um ihn »Ja« sagen zu hören. Er muss »Ja« sagen. Ich kann nicht mehr und er will doch auch aufhören!
    Beck sieht mich an. »Ich mach im Moment keine Zukunftspläne.«
    Aber ich! Denn wenn ich es nicht tue, hab ich keine mehr! Ich will eine Zukunft haben, und darin spielt er eine wichtige Rolle! Ich sehe ihm direkt in die Augen, und trotz seines Einwands hab ich das Gefühl, auf dem Grund seiner Augen mein erbetteltes »Ja« sehen zu können. Ich werde ihn noch einmal fragen, aber später.
    Das Ticken der Uhr wird laut. Ich bin todmüde.
    »Sandras Sachen sind von Bullen ausgeräumt worden! Was ist mit ihr? Ist sie tot?«
    Vanessas Stimme reißt mich aus meinem Dämmerzustand. Sie schüttelt Schnee aus den Haaren. Der Schneefall scheint stärker geworden zu sein.
    »Alles ist voller Bullen, und die wühlen überall bei uns rum. Jana und mich haben sie rausgeschmissen. Ich will endlich wissen, was los ist!«
    Tonberg übernimmt es. Ich habe ihn nicht kommen hören.
    »Hol die andern her. Alle sollen kommen.« Er klingt müde.
    Ich wühle mich aus den Decken und Beck packt sie weg. »Geht’s? Bleibst du auf den Beinen?«, fragt er.
    Ich bilde es mir nicht bloß ein. Seine Stimme hat einen neuen Klang, fürsorglicher klingt sie. Und mir schießen sofort die Tränen in die Augen. Ich nicke und dreh den Kopf weg.
    »Tilly, du hast einen Schock. Du hast etwas Entsetzliches durchgemacht. Reiß dich bloß nicht dauernd zusammen. Verstanden?«
    Doch, ich muss.
    Leichenblass kommt Kolja als Erster quer durch den Container auf mich zu. Seine Hand ist eiskalt. Er quetscht meine Hand, klammert sich an mich. Wir rutschen beide mit dem Rücken an der Wand runter und landen auf dem kalten Containerboden.
    Kolja flüstert so leise, dass ich von seinen Lippen ablese: »Ist Sandra …«
    Ich schließe die Augen. Und Kolja versteht.
    Tonberg räuspert sich. »Sandra ist tot. Es ist einfachgrauenhaft. Die Polizei untersucht jetzt die Ursache. Wir arbeiten heute nicht.«
    Lars, Nils, Cem und Ben verteilen unaufgefordert und ungewöhnlich leise volle, dampfende Kaffeebecher. Ben schüttelt stumm den Kopf, als er Kolja seinen reicht.
    »Aus … Respekt vor Sandra«, sagt Paolo, und seine Stimme ist rau, »find ich es richtig, dass wir nicht arbeiten. Aber im Container krieg ich einen Lagerkoller. Kann ich nicht mit Kolja das Diskodach fertig machen? Das würde uns … ablenken.« Er kommt rüber zu Kolja und mir.
    Tonberg nickt müde. Der Kaffeelöffel in Koljas Becher klingelt, so sehr zittert er. Er sieht aus wie ein Gespenst. Seine Trauer raubt mir den Atem und katapultiert mich wieder in das Geisterland um Sandras Grab.
    Das Unwirkliche ist zum Greifen nah, es greift nach mir.
    »Hast du Sandra gefunden?« Vanessas Stimme ist laut und meint mich.
    »Hedwig«, murmle ich.
    »Was?« Vanessa ist laut und schrill.
    »Eine Schnee-Eule hat sie gefunden.«
    »Du meinst … Hedwig, die Posteule von … Harry Potter?«
    Genau die spukt mir schon die ganze Zeit im Kopf herum.
    Vanessa starrt mich an. »Du bist ja nicht ganz dicht!«
    »Und du lässt Tilly in Ruhe oder du fliegst raus«, sagt Beck scharf.
    Unruhe kommt auf, aber dann erklärt Riski langsam und mit trauriger Stimme, wie wir auf Sandras Schneegrabgestoßen

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