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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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neuerdings auch Paolo an, der sie abfahren lässt. Wahnsinnsdrama, eine Schlägerei, und bei mir ein unbekanntes Gefühl. Dass es Eifersucht sein könnte, mag ich nicht mal denken.
    Den Trost am gekränkten Mann übernimmt dann wieder Jana. Drama, Gekeife, Zoff ohne Ende. Sie haben die Betten auseinandergestellt und die Spinde zurückarrangiert und sie kurz darauf in einem Moment alter freundschaftlicher Gefühle wieder zusammengerückt. Dann wieder auseinander. Sandra verzieht sich bei den nervigen Umbaumaßnahmen zu Kolja.
    Als sie mir die Haarspitzen stutzt, ist ihre Rede: »Kolja hat …« – »Kolja ist …« – »Kolja sagt …« - »Kolja macht …« – »Kolja kann …«. So viel, wie er kann, traue ich ihm zu, den Alkohol beschafft zu haben. Scheint so, als wäre eine geschlossene Tür für Kolja nicht mehr als ein Vorschlag oder eine Idee, die man auch anders interpretieren kann. Dank Sandra kenne ich ihn jetzt ganz gut. Kolja, Paolo, Sandra stehen auf meiner Liste oder anders gesagt, meine Liste steht fest. Wenn sie nur nicht ausgerechnet wie ich aussehen und mit mir »Sport« machen wollen würde. Beim Wocheneinkauf in Ivalo hat Sandra sich Haarfärbemittel besorgt. Black. Dann hat sie von mir verlangt, dass ich ihr die gleiche Manga-Frisur verpasse, wie ich ihrer Meinung nach eine trage. Bloß, ich hab dickes Rosshaar, das sich auch noch lockt, wenn’s ’n Tick länger ist. Ihr Haar ist lang und seidig. Aber sie hat gebettelt und ich hab’s gemacht. Drama. Dann hat sie es schwarz gefärbt. Noch größeres Drama, weil Kolja die Augen verdreht hat. Aber aufgehalten hat es sie nicht. Nach einer halben Dose Haarspray musste er zugeben, »Du siehst aus wie Tilly«.
    Zum Tratsch: Ob man sich raushält oder nicht, bei der Arbeit erfährt man mehr voneinander, als man wissen will. Gossip und Fakten, Dichtung und Wahrheit. Mich interessiert vor allem Paolo, von dem man sich wilde Mafia-Geschichten erzählt, die er weder bestätigt noch widerlegt.
    »Tilly rennt Voito Riski nach!«, sagen alle. Das stimmt. Von dem Mann will ich nichts, aber abhängen lass ich mich auch nicht. Seitdem alles zugeschneit ist, bringt er mir Langlaufen bei. Er hat mir Skier besorgt und mit dem Schneemobil eine Loipe angelegt. Für mich hat das nurVorteile, denn ich komm raus, muss eine Stunde weniger arbeiten und bin vom Kantinendienst befreit. Wieso die anderen freiwillig darauf verzichten? Ich werde es nie kapieren. Ohne Riski hätte ich mich nach meiner Panikattacken-Serie nicht mehr vor die Tür getraut. Er hält mich für ein läuferisches Genie, denn Angst hat mich schon immer schnell gemacht. Ich würde wie ein Knochenwindspiel übers Eis flitzen, behauptet er, so schnell wäre ich. Es stimmt, ich bin kurz davor, ihn beim Langlauf abzuhängen.
    »Bringst du mir Schießen bei?«, hab ich ihn gestern gefragt. Und zwar an der Stelle, wo am russischen Ufer die Hütte ist und ich mir diesmal einbildete, ein Licht aufflackern gesehen zu haben.
    »Nein«, sagte er. »Definitiv, nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil du ’ne Macke hast.« Auf Englisch natürlich.
    Ich blicke rüber zur anderen Uferseite. Die Hütte wirkt total verlassen und liegt im Dunkeln.
    Im Camp schleicht Beck um mich rum und will mit mir reden, weil ihm meine komatösen Zustände zu schaffen machen. Sooft ich kann, weich ich ihm aus.
    »Tilly! Bleib stehen!«
    »Was is’n los?«
    »Du sollst stehen bleiben!« Beck stapft wütend auf mich zu. »Ich will deine Eltern nach ein paar gesundheitlichen Daten fragen.«
    »Und?«
    »Was gibt’s da zu grinsen?«, fragt er irritiert. »Ich will wissen, ob du einen frühkindlichen Schaden hast. DieseOhnmachtsanfälle müssen doch eine Ursache haben! Also, ich finde das nicht witzig. Schließlich trage ich hier für dich die Verantwortung!«
    »Ja, versteh ich. Nur zu.«
    Ich muss mir das Lachen verkneifen. Ich bin meinen Eltern scheißegal. Sie wissen nichts über mich. Ich zweifle daran, überhaupt Kind leiblicher Eltern zu sein.

6
Elternliebe
    Unter weitgespannten Bögen von ruhigem, rotem Polarlicht erzählt mir Sandra von ihrer Mutter: »Nadi hat mich in der Kinderkarre bei Omi abgestellt. Ich war zwei. So was macht man doch nicht, Tilly!« Sandra zupft an dem für sie ungewohnten Pony herum. »Ich hab gedacht, Omi wär meine Mami. Wenn Nadi uns besucht hat, bin ich total ausgetickt, so irre hat mich das gemacht.«
    »Kenn ich. Bis zur Einschulung bin ich bei meiner Tante aufgewachsen. Zu Hause war es eh

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