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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Ich weine die ganze Nacht. Sie lassen mich weinen. Und dafür liebe ich sie, liebe siebeide, und weine. Den Anruf beim Chef übernimmt Kolja. Mit dünner Stimme berichtet er von unserer Magen-Darmgrippe. Ich sehe total verschwollen und fiebrig aus, aber wie’s aussieht, werde ich damit nicht allein bleiben. Bei den Schlossmädchen fließen die Tränen in Strömen. Die Jungs betteln nach meiner Handynummer und glauben nicht, dass ich keins habe. Angesäuert bricht der Chef vor der Zeit den Aufenthalt bei seiner Uschi ab und wir fahren nach Hause. Auf der Fahrt nach Lübben bedauert Bigot sehr, dass wir unsere Lektion nicht jusqu’à la fin bringen konnten. Nur Melanie hat ihre Zuneigung auf eine schöne Art zum Ausdruck gebracht und mir ein Paket Stullen mitgegeben.
    Ich lass das Herrenhaus hinter mir wie eine schwere Krankheit. Jeder Kilometer zwischen Flusshorst und mir lässt mein Gesicht mir wieder ähnlicher werden. Dafür steigert sich Kolja mit jedem Kilometer tiefer in meinen Verfolgungswahn hinein. Er hasst Victor Georg Goedel so sehr, dass Paolo mahnt, er solle Goedel mal nicht mit seinem eigenen Vater verwechseln.
    »Nee, mach ich nicht. Mein Alter ist ein mieser Frauenund Kinderhasser, der sich sadistisch an Schwächeren austobt. Er ist einfach unmenschlich, brutal und dumm. Goedel ist ein ganz anderes Kaliber.«
    Ich kann den Unterschied nicht sehen, will mich aber nicht streiten, wen von uns es übler erwischt hat. Außerdem will ich nicht dauernd denken: Mein Vater hat mich missbraucht, misshandelt, gequält, lebendig begraben, und er will mich töten, umbringen, mich aus dem Weg schaffen …
    Aber Kolja ist nicht zu bremsen, er malt Diagramme, schreibt FRANKFURT in Großbuchstaben und umkreist es mit rotem Stift. »Ich bin mir sicher, dass Pseudo-Ingo Feist dich im Auftrag von Goedel umbringen sollte und versehentlich Sandra erwischt hat.«
    Paolo sorgt sich um mich. »Alter, lass mal nach. Du musst Tilly nicht dauernd daran erinnern, dass jemand sie umbringen will.«
    »Nicht jemand. Goedel.«
    »Das weiß sie auch. Lass die Scheiße doch erst mal sacken. Reite nicht dauernd drauf rum.«
    Doch Kolja kann nicht aufhören, ihn regt das viel zu sehr auf. »Ein einflussreicher Banker hat einflussreiche Helfer und kennt einen Haufen Leute, die ihm was schuldig sind. Wie hätten sonst die Papiere aus der Staatsanwaltschaft verschwinden können? Der Hauptsitz von Goedels Büro ist in Frankfurt.«
    »Hat das nicht Zeit?« Paolo schüttelt den Kopf.
    »Lass ihn, Kolja hat recht. Und was du gestern gesagt hast, stimmt auch«, sag ich. »Goedel weiß alles über mein Leben, über meine Identität als Tilly Krah und unser Leben in Lauterstetten. Kann also gut sein, dass ich nicht mehr viel Zeit habe.«
    »Wenn er Becks Konto überprüfen lässt, weiß er sowieso von unserem Sprachkurs«, überlegt Kolja.
    Wir spekulieren weiter darüber, warum er mich bis jetzt in Ruhe gelassen hat.
    »Vielleicht hatte er früher Schiss, dass über meine Leiche Querverbindungen zu Alma Goedel hergestellt werden könnten. Spätestens dann wär’s ihm ja an den Kragen gegangen.«
    Paolo denkt in die gleiche Richtung: »Deshalb hat er versucht, dich in Lappland aus dem Weg zu räumen, so weit weg wie möglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei dort herausgefunden hätte, dass du gar nicht Tilly Krah bist, ist kleiner.«
    Wir steigen am Ostbahnhof in Berlin aus und warten am Gleis 7 auf den ICE nach Mannheim.
    Gib Heckenschützen keine Chance, unter dem Motto verschaffe ich mir unauffällig ein möglichst genaues Umgebungsbild.
    »Andrerseits, wenn Goedel Tilly beobachten lässt, muss er überzeugt sein, dass sie einen totalen Dachschaden hat«, grinst Kolja. »Kuck mal. Ist doch unglaublich, wie die immer rumzappelt.« Er richtet sich an Paolo und realisiert, dass der genauso unruhig ist. »Glaubt ihr etwa, die sind schon hinter uns her?«, fragt er baff.
    Ich schüttle den Kopf.
    Aber Paolo meint: »Ausgeschlossen ist es nicht.«
    »Mann, du machst mir echt Angst«, sagt Kolja.
    Auf dem Bahnsteig gegenüber steuern zwei Polizisten auf einen Afrikaner zu, der friedlich auf einer Bank sitzt und Zeitung liest.
    Die Polizei rufen? Hilfe und Schutz durch die Polizei? Niemals, da sind wir uns einig. Der einfahrende ICE 873 verdeckt, was gegenüber passiert. Wir haben ein Mutter-Kind-Abteil für uns allein, können die Füße hochlegen und uns Melanies Fresspaket widmen.
    Kolja: »Dich füttert immer irgendwer. Das Tagblatt,

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