Wenn es daemmert
Mädchen, das sie am Strand von Pittenweem gefunden hatte. Wie würde er versuchen, sie so weit unter Druck zu setzen, dass sie bereit wäre, sich umzubringen?
»Du wolltest schon immer einmal deine Halbschwestern kennenlernen, richtig? Ich kann dir Fotos zeigen, wenn du magst. Entzückende Mädchen, alle beide«, sagte er, als plötzlich ein gleichmäßiger, dunkler Alarmton erklang.
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und Arthur ging ohne ein weiteres Wort zur Falltür und öffnete sie.
Jemand war im Haus. Das kann nur Cedric sein, dachte Mina und fing an, seinen Namen zu schreien. Sie schrie immer noch, als sich die Falltür schon längst wieder geschlossen hatte und jeden Laut aus dem Kellerraum nach außen hin verstummen ließ.
Kirkcaldy, April 1950
Viel zu kalt war es. Und der Wind erst. Sie trug nur ihr Nachthemd. Sie trug seit Wochen nichts anderes als ihr Nachthemd. Der weiße Stoff flatterte im Wind. Unter ihren Füßen fühlte sich der Sand kalt an. Kleine kalte Nadelstiche.
Niemand war am Strand. Die Stadt lag still hinter ihr. Wenn sie nach rechts sah, konnte sie die Lichter der großen Stadt auf der anderen Seite des Wassers sehen. Vor ihr die Nordsee, endlos, bis zum Horizont, wo der Himmel schon blau war, und sie wusste, es dauerte nicht mehr lange, dann würde die Sonne aufgehen, genau vor ihr, genau da, wo das Meer in den Himmel floss.
Sollte sie noch warten?
Warum warten? Sie würde der Sonne entgegengehen. Das war einfach. Es war auch gar nicht mehr kalt. Immer nur geradeaus, mitten durch das Wasser.
Sie sah nach unten. Dunkler Matsch quoll zwischen ihren Zehen hervor. Als sie das nächste Mal nach unten sah, war das Wasser schon an ihren Knien, das Nachthemd nass bis zu den Hüften.
Sie spürte weder die Kälte noch die Nässe. Sie sah nur, wie die ersten Sonnenstrahlen den Himmel röteten, und sie wusste, dass es nichts Schöneres mehr auf der Welt für sie geben würde. Sie musste einfach nur immer weitergehen. Mitten durch das Wasser.
14.
Die Suche nach Mina hatte Stunden gedauert. Erst um acht Uhr morgens fand er die Falltür. Da hatte die Polizei das ganze Haus schon mehrfach abgesucht. Sie hatten ihn immer wieder gefragt, was zwischen Art Fisher und ihm vorgefallen war, warum Art Fisher verschwunden war, wie er Art Fisher überhaupt ausfindig gemacht hatte. Es hatte ewig gedauert, ihnen alles zu erklären, und obwohl Isobel versucht hatte, die Lücken zu füllen, war sich Cedric sicher, dass noch lange nicht alle Fragen beantwortet waren. Die Befragungen aber hatten sich längst nicht so endlos lange angefühlt wie seine Suche nach Mina, von der er wusste, dass sie in diesem Haus sein musste, von der es aber nicht die geringste Spur gab.
Bis ihm die Regulierungsschalter für die Klimaanlage aufgefallen waren. In dem Haus gab es keine Klimaanlage. So kam er auf die Idee, nach einem Keller zu suchen. Als er um das Haus herumging und eine gut versteckte Lüftung entdeckte, wusste er, dass er Recht hatte, und die folgenden Stunden verbrachte er damit, unter den spöttischen Bemerkungen der Edinburgher Kriminalbeamten jeden Inch des Bodens zu inspizieren, um den Kellerzugang zu finden. Zum ersten Mal kam ihm sein zwanghafter Drang nach Symmetrie zu Hilfe: Er sah sofort, dass mit dem Parkettboden etwas nicht stimmte, nachdem er die Teppiche von den Polizisten hatte wegräumen lassen. Trotz aller Sorge um Mina hatte Cedric sich nicht dazu überwinden können, die Teppiche selbst anzufassen. Er hatte die Polizisten darum gebeten. Sie hatten sich zwar beschwert, sie seien nicht seine Hausangestellten, aber sie hatten es schließlich getan.
Er sah die Einlassung im Boden, die geschickt in die Fugen des Parketts eingearbeitet war, fand nach einigem Suchen den Knopf, der den Öffnungsmechanismus auslöste, und in dem Kellerraum fanden sie Mina, heiser vom Schreien, erhitzt und aufgelöst vom Weinen, an Händen und Füßen gefesselt.
Nach dem Trubel der Erleichterung, sie endlich gefunden und befreit zu haben, fand sich Cedric plötzlich allein in dem Kellerraum. Die Polizisten waren oben und kümmerten sich um Mina. Er würde dort nur stören, also beschloss er, noch ein wenig hier unten zu bleiben. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Er inspizierte das Weinregal, den ursprünglichen Grund für den Einbau einer Klimaanlage, wie er vermutete. Daneben stand ein unauffälliger alter Holzschrank. Er war nicht verschlossen, und als Cedric ihn öffnete, hatte er Arthur Fishers
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