Wenn es daemmert
Mord zu tun haben. Aber Pepa bestand darauf, dass er allein ihr Retter sein sollte. Vielleicht weil er als Einziger nicht versucht hatte, sie anzumachen. Er ging auf den dunklen Flur hinaus, um nach seinen Mitbewohnern zu sehen. Fast wäre er ihnen in die Arme gelaufen, denn sie kamen gerade durch die Haustür gepoltert. Es war halb drei.
Cedric ging leise zurück in sein Zimmer und wartete noch eine halbe Stunde, bis alles ruhig war. Dann schlich er sich mit Pepa aus dem Haus, startete den Wagen und fuhr sie nach Edinburgh.
»Weißt du, wohin?«, fragte er sie, und sie sagte immer nur: »Edinburgh.« Sie sprach es falsch aus, mit einem harten Endungs-g und noch viel härter klingenden Vokalen.
Als sie auf der Autobahn waren, fragte er: »Wo in Edinburgh?«
»Ja, Edinburgh«, sagte sie.
»Nein: Wo genau? Welche Straße? Welches Haus in Edinburgh?«
Zu seinem Erstaunen fing sie an, in ihrem Rucksack zu kramen. Sie besaß einen kleinen Koffer, einen Rucksack und eine Handtasche, hatte aber nichts in den Kofferraum legen wollen. Der Koffer lag im Fußraum des Beifahrersitzes, Rucksack und Handtasche hatte sie auf ihrem Schoß deponiert. Endlich zog sie etwas hervor, das wie ein Reiseführer für Edinburgh aussah. Allerdings in kyrillischer Schrift. Vielleicht hatte sie Russisch in der Schule gelernt. Sie blätterte darin herum, bis sie die richtige Seite gefunden hatte. Aus dem Augenwinkel sah Cedric, dass es ein Kartenausschnitt von Leith war. Eine Stelle war dick eingekreist. Bevor sie auf die Forth Road Bridge fuhren, blieb Cedric stehen und sah sich den Plan an, der die Ortsbezeichnungen und Straßennamen in lateinischer Schrift wiedergab: Salamander Street. Er gab die Adresse in sein Navigationsgerät ein und fragte sie: »Kennst du dort jemanden?« Als sie nicht verstand, versuchte er es anders: »Ein Freund? Eine Freundin?«
Sie nickte. »Eine gute Frau«, sagte sie und sah von nun an aufgeregt aus dem Fenster.
Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Wirst du dann wieder zu deinen Eltern fahren?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein? Wo wohnen sie denn? Bukarest, ja?«
»Ein Dorf bei Tighina. Sie sind sehr arm«, fügte sie hinzu. »Was steht da?« Sie zeigte auf ein Straßenschild, das ihnen den Weg nach Edinburgh wies.
»Edinburgh«, sagte er und runzelte die Stirn.
Im heller werdenden Morgenlicht hatte die parallel verlaufende Forth Bridge, die Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth, sogar für Cedric etwas Magisches. Das Navigationssystem lotste sie durch das nördliche Edinburgh, durch Stadtteile, in die sich Touristen nie verirrten. Cedric kannte sich hier nicht aus, und das machte ihn trotz Navigationsgerät nervös. Er erkannte keine einzige Straße wieder, bis sie sich der Hafenstadt Leith näherten. Hier gab es Schilder, die den Weg zur Royal Yacht Britannia wiesen. Endlich halbwegs bekanntes Gebiet, dachte er und fühlte sich etwas wohler.
»Wer war bei Matt?«, fragte Cedric und hoffte, so weit weg von St. Andrews würde sie sich sicherer fühlen und es ihm anvertrauen.
Pepa schüttelte den Kopf.
»Warum sagst du es mir nicht? Dir kann nichts passieren. Egal, wer es war, du bist jetzt in Sicherheit.« Er hatte keine Ahnung, ob sie ihn verstand.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie dachte angestrengt nach, das konnte er sehen. Dann sagte sie: »Wenn ich sage, wer, bist du gefährlich.«
Sie meinte wohl: in Gefahr.
»Ich kann auf mich aufpassen, Pepa.«
Das erste Mal, dass er ihren Namen aussprach. Es war beiden aufgefallen. Sie lächelte ihn an und wollte ihre Hand auf seinen Arm legen, besann sich aber in letzter Sekunde eines Besseren.
»Du bist witzig«, sagte sie und meinte wohl: seltsam. »Du kannst nicht aufpassen. Du hast zu viele Probleme mit dir.«
So direkt hatte ihm das noch niemand gesagt. Manchmal war es gar nicht schlecht, nur ein begrenztes Vokabular zur Verfügung zu haben. Man kam schneller auf den Punkt. Er musste sogar ein wenig lächeln. Gerade in dem Moment sagte die Stimme des Navigationsgeräts: »Sie haben ihr Ziel erreicht.«
Er hielt an und sah sich um. Dem Verfall preisgegebene Wohnhäuser vor ihm, verkommene Lagerhallen hinter ihm. Der Dreck der letzten Jahrhunderte klebte an den Fassaden und ließ die Gebäude fast schwarz aussehen. Cedric konnte förmlich spüren, wie der Schmutz versuchte, in seinen Mercedes zu kriechen. Schnell überprüfte er, ob alle Fenster fest geschlossen waren. Die Lüftung stellte er aus.
Scheiben unbewohnter
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