Wenn es daemmert
Schlüssel. Doch etwas blockierte sie. Vor der Haustür waren die Möwen, dort konnte er nicht hin. Blieb nur noch das französische Fenster im Wohnzimmer. Auch das war abgeschlossen, er konnte die Glastüren nicht zur Seite schieben.
Cedric übergab sich auf den zwanzigtausend Pfund teuren Orientteppich, den ihm sein Vater zum Schulabschluss geschenkt hatte, und Doug stand hinter ihm und applaudierte.
»Genau die richtige Begrüßung für unseren Besuch«, sagte Doug, und als Cedric schwer atmend den Blick zur Fenstertür hob, sah er DCI Brady, wie dieser durch den Garten auf ihn zustolziert kam und ihm zuwinkte.
12.
»Ich hatte damit gerechnet, dass du mir heute absagst«, sagte James Cunningham, als sie aus ihrem Auto ausstieg. Sie zögerten beide eine Sekunde lang, weil sie nicht wussten, wie sie sich begrüßen sollten, dann versuchten sie eine Umarmung.
»Hübsches Nest.« Mina blickte die kleine Straße mit den bunt gestrichenen Häuschen hinunter. Ihr fielen einige sehr teure Fahrzeuge auf, die am Straßenrand geparkt waren. Ein schwarzer Range Rover fuhr an ihnen vorbei. »Und Geld ist offenbar auch unterwegs. Oder sind das die Touristen?«
James Cunningham zuckte die Schultern und sah dem Range Rover nach. »Lass uns hier entlanggehen.«
Er wies ihr den Weg in ein enges, steil abfallendes Gässchen: Cove Wynd führte sie nach unten, vorbei an verwinkelten Häuschen, geschmückt mit hübsch bepflanzten Blumenkästen, bunt gestrichenen Haustüren und Fensterrahmen. Ein paar Stufen weiter unten ragte zu ihrer Linken ein riesiger Naturfelsen auf. Er hatte einen künstlichen Zugang, der wie ein Hauseingang aussah. Ein großes Kreuz, gesetzt aus Steinen und Muscheln, zierte die der Gasse zugewandte Mauer des Eingangs: St. Fillan’s Cave, die Höhle eines Missionars. Dieser Höhle verdankte der Ort auch seinen Namen: Pittenweem. Pit, der Ort. Weem, die Höhle. Am Fuß von Cove Wynd lag der Hafen, der auf den Firth of Forth hinausging. Auf der anderen Seite des Wassers sah sie die Lammermuir Hills, davor die Isle of May und Bass Rock, früher Gefängnisinsel, heute Vogelparadies. Mina hätte sich in den Anblick verliebt, wäre die Anspannung nicht so groß gewesen. Ausgerechnet an einem Tag wie diesem, mit ihrem Bild in den Zeitungen, traf sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben, und sie fragte sich, wie aufgeregt sie erst sein würde, wären ihre Gehirnströme nicht in Watte gepackt. So aber war sie einfach nur verstört, unschlüssig, auch verärgert über die Situation, weil sie so hohe Erwartungen an diesen ersten Moment gehabt hatte, weil sie sich seit ihrer Kindheit ausgemalt hatte, wie es sein würde, ihn zu treffen.
Nun war alles anders. Sie waren zwei Fremde, die versuchten, sich nicht fremd zu sein. Was sie über ihn wusste, hatte sie aus seinen wenigen etwas längeren E-Mails erfahren. Fast alles, was er ihr darin mitteilte, hatte allerdings auch in der dürftigen Pressemeldung gestanden, die angesichts seiner Beförderung veröffentlicht worden war. Sie wusste also kaum mehr als das, was dank des Internets jedermann über ihn wissen konnte.
Mina war in ihren Mails ebenso zurückhaltend gewesen. Aber im Gegensatz zu ihr hätte er jederzeit mehr über sie erfahren können, über ihre Bücher, ihre Themen. Sie war sich sicher, dass er nie eins gelesen hatte. Mina hatte mit diesem Treffen das Loch in ihrem Herzen füllen wollen. Doch in der ersten Sekunde, da sie ihn am Straßenrand hatte stehen sehen, war ihr klar gewesen: Dieser Mann würde nur noch ein tieferes Loch reißen. Weil er zu fremd, zu weit weg war, nicht mal einen Atemzug lang an das Bild heranreichte, das sie sich von ihm aufgebaut hatte.
James hatte die ganze Zeit geredet. Von der Isle of May, wie sie dort früher die unfruchtbaren Frauen hingerudert hatten, damit sie von den heiligen Quellen tranken, wie im Hafen von Pittenweem vor dreihundert Jahren durch Steinigen und anschließendes Rädern die letzte Hexe hingerichtet worden war. Sie hörte nur halb zu, während er erzählte, sie wollte den Klang seiner Stimme aufnehmen, doch es gelang ihr nicht. Alles klang fremd und hohl. Als er von der Hexe sprach, dachte sie an ihr Bild in der Zeitung: Hexenjagd. Die Saison hatte wieder begonnen. Mina fragte sich, wie viele der Menschen, denen sie heute Morgen auf der Straße begegnet war, die Zeitung gelesen hatten und wie viele davon wiederum sie auch erkannt hatten.
Der strahlende Sonnenschein verwandelte sich in einen heftigen
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