Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Ritter Blaubart
erklären geben?
Sie konnte kaum atmen. Jeder Atemzug schmerzte wie Feuer. Sie hoffte, dass ihre Schwester kommen würde. Dass irgendjemand kam. Sie rannte den Sandweg hinunter am Fuhrpark vorbei, in Richtung Ausgang. Schon von Weitem sah sie, dass das Tor geschlossen war. Es ragte meterhoch vor ihr auf, ein unüberwindliches Hindernis. Sie blickte zurück. Hinter ihr lief Alain. Er verfolgte sie!
Sie schrie auf, und rannte auf den Wald hinter dem Garten zu. Vielleicht konnte sie sich dort verstecken, bis Stefan und Lara hier waren. Ihre Schwester würde ganz sicher kommen. Sie musste einfach kommen! Amelie schluchzte und stolperte zwischen die kahlen Rosenbeete. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Obwohl es erst Nachmittag war, war es düster wie in der Dämmerung.
„Amelie!“, hörte sie Alains Stimme. „Amelie, bitte bleib stehen!“
Sie sah wie unter einem Zwang zurück. Er stand nah am Tor, ein silbernes Schwert in der Hand. Er sah genauso aus wie der Mann an der Kapelle auf dem Friedhof, nur dass er keinen schwarzen Mantel, sondern ein weißes Hemd trug.
Er ist dieser Mann , durchfuhr es Amelie. Er hat mich damals schon beobachtet! Und er verfolgt mich. Die ganze Zeit über verfolgt er mich!
Hatte er es nicht selbst gesagt? Er begehrte und verfolgte sie schon länger. Er war ein Psychopath, der mit seinen Opfern spielte. Ob er die anderen Frauen auch zu sich eingeladen hatte? Hatte er sie ebenso verführt, wie er sie verführt hatte?
Sie riss sich zusammen und rannte weiter. Durch den Garten. In den Wald hinein. Im Schnee sah man ihre Spuren. Aber was sollte sie tun? Sich ihm stellen? Niemals! Sie blickte zu dem kleinen Turm, der ihr gestern bereits aufgefallen war. Er war von einem älteren Gebäude übrig geblieben, vermutlich von einem Kloster. Vielleicht konnte sie sich darin verschanzen, bis Stefan und Lara hier waren.
Der Gedanke gab ihr neue Kraft. Sie hetzte auf den Turm zu. Sie hatte die Tür des Turms fast erreicht, als sie einen schwarzen Schatten an sich vorbeifliegen sah.
Zu spät , dachte sie entsetzt. Gleichzeitig begriff sie nicht, was da vor sich ging. So schnell konnte kein Mensch sein! Gleich würde das Schwert durch die Luft sausen. Gleich würde ihr Kopf in den Schnee fallen. Sie schrie.
„Amelie“, sagte eine vertraute Stimme.
Ihr Atem beruhigte sich ein wenig. Sie sah in Stefans vertrautes Gesicht mit den kurzen, dunkelblonden Haaren. Erleichterung durchflutete sie.
„Stefan! Er ist es! Er ist der Blaubart! Er ist bewaffnet! Hast du deine Pistole?“
„Ja.“ Stefans Stimme war kalt wie die Luft, die sie umgab. Amelie sah verwirrt in sein Gesicht. War das wirklich Stefan? Er sah anders aus. Das Gesicht war bleicher, der Ausdruck der Augen glühend. Er wirkte wie ein Wahnsinniger.
Neben ihm trat ihre Schwester zwischen den Tannen hervor.
„Wie seid ihr über die Mauer gekommen?“, fragte Amelie irritiert. Sie konnte nicht einordnen, was sie sah. Sollte sie sich nicht freuen? Lara und Stefan retteten sie! Das sagte ihr Verstand. Ihre Instinkte sagten ihr etwas anderes: Jetzt war es zu spät, ihre Flucht war gescheitert. Alles war verloren. Sie sog scharf die Luft ein.
„Was ... was geht hier vor?“
„Meine große, neugierige Schwester.“ Lara grinste und zeigte dabei zwei lange, scharfe Eckzähne. „Wie werde ich es genießen, dein Blut zu trinken.“
„Lara?“ Amelie glaubte, zu träumen. Das musste es sein! Sie lag noch in Alains großem Bett. Das alles konnte nicht real sein. Niemand konnte so blass sein wie Lara. Ihr Herz raste. Sie war die Beute, Lara die Jägerin. Ihr Körper ließ keinen Zweifel daran, dass es so war.
Ihre Schwester trat auf sie zu. „Schade, dass wir so wenig Zeit zum Spielen haben. Aber wann habe ich schon die Gelegenheit, einen Mord zu begehen, und ihn einem anderen in die Schuhe zu schieben? Die Zeitungen werden glauben, dass es Alain war. Und niemand wird mich verdächtigen. Die arme, zurückgelassene Schwester.“
„Du willst mich umbringen?“ Amelie stolperte über ihre eigenen Füße. Sie landete vor ihrer Schwester im Schnee – aber war das noch ihre Schwester? Dieses Ding, das nach Gefahr und Tod roch?
„Nimm es nicht persönlich. Du bist uns im Weg. Ich will das Haus und das Geld für mich. Das Erbe unserer Eltern. Damit wir dort einen neuen Vampirclan gründen können. Du bist nur eine Schachfigur, die geopfert werden muss. Wenn du früher ein wenig netter gewesen wärst, hätte ich dich vielleicht in den
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