Wenn Frauen kochen
immer alles schwarzsieht.«
»Kein Wunder«, antwortete Gus und sammelte ihre Sachen ein. »Ich habe zwei Töchter.«
3. Kapitel
Müde blinzelte Aimee in Richtung Wecker. Sie hatte ihn volle fünfundvierzig Minuten früher als sonst klingeln lassen, weil sie ins Fitnessstudio wollte. Beschlossen hatte sie das bereits letzten Donnerstag. Aber dann schob sie es doch bis Montag vor sich her, um wieder mit Sport anzufangen. Sie spähte zu dem schmucklosen Fenster - keine Gardine, kein Vorhang, nicht einmal eine Leiste - und konnte noch nicht einmal die Umrisse des Hochhauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkennen. Ha! Es schneite. Und wie jeder wusste, war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein Mädchen bei Schnee nicht zum Sport ging. Manchmal hatte ein Februar in New York durchaus seine Vorzüge.
Aimee kroch zurück in die Wärme ihrer bernsteinfarbenen Baumwolllaken. Die Bettwäsche war ein reduziertes Schnäppchen im Winterschlussverkauf bei Macy’s gewesen. Sie zog die kuschelige Bettdecke hoch bis über ihre kurzen rotblonden Haare, die in alle Richtungen abstanden, und tat so, als hätte der Wecker nie geklingelt. Aber gerade als sie wieder einschlummerte, wurde sie durch ein lautes Türenknallen im Flur endgültig aus dem Schlaf gerissen.
Sabrina. Das konnte nur Sabrina sein.
Aimee stapfte hinüber ins Wohnzimmer, wo sie auf ihre schwarzhaarige jüngere Schwester stieß, die am Esstisch stand. Von einem Stapel Entwurfskizzen nahm sie eine nach
der anderen herunter und türmte sie wieder ordentlich auf. Wie üblich war Sabrina tadellos angezogen. An diesem Morgen trug sie ein lilafarbenes Kostüm mit Faltenrock - ein deutlicher Kontrast zu Aimees ausgeleiertem, verwaschenem Schlafanzug.
»Wolltest du nicht bei Billy übernachten?«, fragte Aimee mit aufgesetzter Gleichgültigkeit, während sie im Türrahmen lehnte. Sich mit seiner Schwester ein Apartment zu teilen, die mit ihrem jeweils aktuellen Freund Eheleben simulierte, hatte einen Riesenvorteil: Man wohnte quasi allein. Aimee spürte die unwiderstehliche Anziehungskraft ihres Bettes, das sicher immer noch warm war und dazu einlud, sich wieder hineinzukuscheln. Im Kopfkissen befand sich noch die Delle, die ihr Kopf hinterlassen hatte.
»Da war ich auch. Aber in einer halben Stunde habe ich einen Termin. Ich hatte meine Zeichnungen vergessen und musste den ganzen Weg durch die Stadt herkommen!« Sabrina hielt kurz inne und sah ihre Schwester mit finsterer Miene an. »Hilfst du mir mal?«
»Ich denke nicht«, erwiderte Aimee gedehnt. »Mein Fachgebiet ist Volkswirtschaft, du erinnerst dich? Mich interessiert das Abwenden globaler Katastrophen und weniger die banalen Probleme Einzelner.«
»Aimee! Wenn ich diesen Job nicht bekomme, kann ich meinen Teil der Miete nicht zahlen.« Sabrina wusste, dass Geld - beziehungsweise dessen Fehlen - Aimee geradezu beflügelte.
»Möchtest du ein paar Tipps, wie du es vielleicht zusammenbekommst, Schwesterchen?«
»Nein, ich brauche dich nicht, damit du mir sagst, wie ich zu leben habe. Ich brauche jetzt deine Hilfe, nur für eine Minute, um meinen Skizzenblock zu finden.«
»In Ordnung.«
»Hast du ihn irgendwo gesehen?«
»Ja. Ich habe dir letzte Nacht auf deine Mailbox gesprochen, dass er herrenlos auf dem Sofa im Wohnzimmer herumliegt und ich ihn entsorgen würde.«
»Wie bitte?! Ich hatte noch keine Zeit, meine Mailbox abzuhören«, kreischte Sabrina. »Du hast meine Präsentation weggeschmissen?!«
Einmal, vor langer Zeit, in der deprimierenden Phase nach dem Tod ihres Vaters und bevor ihre Mutter fürs Fernsehen arbeitete, war Aimee so wütend über das Chaos in der Zimmerhälfte ihrer Schwester gewesen, dass sie Sabrinas Geschichtsaufsatz in den Müllzerkleinerer stopfte. Leb wohl, Königin Isabella von Spanien. Die Konsequenz war irgendeine läppische Strafe gewesen - Hausarrest oder eine Woche Fernsehverbot. In jedem Fall nichts, weswegen sie ihr Handeln bedauert hätte.
Später hatte sich Aimee gefragt, warum Gus sie nicht auf eine Weise bestrafte, die ihr wirklich wehgetan hätte, zum Beispiel ihre ordentliche Seite des Zimmers durcheinanderzubringen oder ihr zu verbieten, das Gemüse in alphabetischer Reihenfolge zu essen. Jedenfalls wurde die Aktion mit dem Aufsatz sofort zu einer dieser unsterblichen Familiengeschichten. Eine von der Art, die durch das ständige Erzählen fortleben und mit der Zeit immer größer werden. Sie machte aus Aimee die coole Gelassenheit in Person und
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