Wenn ich in deine Augen seh (Bianca) (German Edition)
auf sie ein und fügten sich wie Puzzleteile zusammen.
Das Kochrezept – geschälte statt geschmorte Tomaten. Die Unkenntnis von Daisys Traumberuf. Am Computer immer nur Tom, niemals Ash. Die Weigerung, ihr Manuskript anzunehmen …
Sie musste ungewollt ein Geräusch gemacht haben, denn Ashford wandte sich mit einem Ruck zur Tür um.
Daisy wurde ganz blass und klappte hastig die Zeitschrift zu. „Hallo! Wir haben gerade deinen Artikel gelesen.“
Abrupt machte Rachel auf dem Absatz kehrt und floh aus dem Stall. Die Beschämung, die Verlegenheit auf seinem Gesicht! Kein Wunder, dass er ihren Texten mit Misstrauen begegnete. Sie rannte durch die Dunkelheit, stolperte über Wurzeln und rutschte auf einem eisigen Flecken aus.
Die Collies krochen unter der Veranda hervor und liefen neben ihr her zur Straße. Sie konnte nicht in das Cottage gehen, noch nicht. Zuerst musste sie einen klaren Kopf kriegen und nachdenken.
Bestimmt will er mich nie wieder sehen. Er schämt sich viel zu sehr, um meine Nähe ertragen zu können. Es ist vorbei! Noch bevor es richtig begonnen hat.
Atemlos erreichte sie den Zaun. Dort blieb sie stehen, mit den Hunden zu ihren Füßen, und wartete darauf, dass sich ihr Herzschlag beruhigte.
„Es tut mir so leid“, flüsterte sie in die Nacht. „Ich bin doch nicht vor dir weggelaufen, sondern vor mir .“
„Das ist gut zu wissen.“
Sie wirbelte herum. Tränen verschleierten ihre Sicht. „Ash, ich …“
Er trat zu ihr, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und wischte ihr mit den Daumen die Tränen von den Wangen. „Ich habe schwere Dyslexie, weißt du. Wörter sind für mich ein einziger Wirrwarr. Buchstaben fehlen, Sätze verlaufen ineinander. Lange Zeit habe ich mich deshalb völlig nutzlos gefühlt. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Leseschwäche mit Dummheit gleichgesetzt wurde. Und manchmal empfinde ich immer noch so. Du hast zwar meinen Körper nackt gesehen, aber diese Enthüllung ist wie …“
„… eine Offenbarung der Seele“, flüsterte sie bewegt.
„Ja. Auch wenn das ziemlich klischeehaft klingt.“
Sie legte die Hände auf seine. „Das ist kein Klischee, sondern die Wahrheit! Du bist ein sehr starker Mensch und ich bewundere dich, weil du Dinge verstehst, über die ich immer stolpern werde, weil ich sie falsch lese , falsch auffasse.“ Sie blickte ihm tief in die teebraunen Augen. „Ich kann zum Beispiel nicht am Verhalten der Kühe ablesen, wann sie kalben werden oder ob ihnen etwas fehlt. Ich sehe einem Pferd nicht an, ob es störrisch ist oder sanft, jung oder alt. Ich kann nicht vom Himmel ablesen, ob sich das Wetter ändern wird, und nicht vom Boden, ob er sich besser für Getreide oder eher als Weideland eignet. Ich kann nicht entschlüsseln, wie lange ein Schneesturm andauern wird oder warum ein Kalb die Nacht nicht überlebt. Und ich habe sieben Jahre dafür gebraucht, um zu erkennen, dass mein Sohn ein stabiles Zuhause braucht. Du dagegen verstehst die Bedürfnisse deiner Familie auf Anhieb und setzt dich dafür ein. Das habe ich nicht immer für Charlie getan.“
Sie holte tief Luft und fuhr fort: „Und ich bin ganz schlecht darin, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, in ihnen zu lesen . Ich habe Charlies Vater für einen Mann gehalten, auf dessen Wort man sich verlassen kann, aber er ist alles andere. Und ich habe große Probleme, die Gedanken und Gefühle meines eigenen Vaters zu deuten. Als ich hier angekommen bin, habe ich dich für ziemlich griesgrämig gehalten. Dabei bist du in Wirklichkeit jemand, der großen Kummer erleiden musste. Ash“, flüsterte sie, „bring mir bei, wie du zu lesen und deine Sprache zu verstehen.“
Weil er nichts sagte, begann sie zu zweifeln. Ihr ganzes Leben lang bemühte sie sich schon vergeblich, ihren Vater zu begreifen, in dessen gebrochenem Herzen zu lesen. Ohne einzusehen, wie sinnlos dieser Versuch war. Hatte sie über die Jahre nichts dazugelernt?
In der Ferne wieherte ein Pferd. Hoch oben in den Hügeln heulten Kojoten.
Es war an der Zeit, endlich aufzuwachen. Behutsam wich sie zurück.
Ashford zog sie wieder an sich und stützte das Kinn auf ihr Haar. „Geh nicht.“ So leise, dass es kaum zu hören war, murmelte er: „Vielleicht können wir uns gegenseitig etwas beibringen.“
Hoffnung keimte auf. „Vielleicht“, flüsterte sie in seinen Mantel hinein, der nach frischer Nachtluft und Stallungen roch. Ich liebe dich, glaubte sie ihn sagen zu hören. Aber sie wagte nicht, den
Weitere Kostenlose Bücher