Wenn nur noch Asche bleibt
gehorchte steifbeinig, erfüllt von Schwerelosigkeit und einer dumpfen, unheilschwangeren Ahnung. Als sie sich vor der Tür gegenüberstanden, presste er die Worte nur unter Mühen hervor. „Geht es ihr gut?“
Stille.
Ein kurzes Räuspern.
Sekunden zogen sich zu Ewigkeiten.
Der Blick seines Gegenübers schmetterte Daniel die Wahrheit ins Gesicht, noch ehe Worte sie ausdrücken konnten. „Sie hatte einen Unfall, Sir. Man fand ihren Wagen zerstört auf den Felsen nahe dem Leuchtturm. Er ist zwanzig Yards tief gestürzt. Ihr Körper war nicht auffindbar, aber die Frontscheibe war zerstört und voller Blut. Sie war nicht angeschnallt. Es tut mir leid. Die Flut muss sie weggespült haben. Man hat mehrere Einheiten rausgeschickt, um nach ihr zu suchen.“
„Nein.“ Daniels Wahrnehmung verzerrte sich. Der Sergeant rückte in weite Ferne. Alles entfernte sich. Er fühlte, wie er gegen die Wand kippte. „Nein. Sie lügen.“
„Es tut mir leid, Sir. Das Blut wurde eindeutig als das Ihrer Frau identifiziert. Wir haben es zuerst testen lassen, um … nun ja, um Sie nicht unnötig zu beunruhigen, für den Fall, dass … oh verdammt, es tut mir leid. Ich bin nicht gut in solchen Dingen.“
„Wann?“, presste er hervor.
„Irgendwann heute Vormittag. Es hat geregnet. Die Straße war rutschig.“
„Sie kann es nicht sein. Unmöglich. Sie würde nie …“ Daniels Stimme brach. Er bekam keinen Ton mehr hervor.
„Es besteht kein Zweifel“, säuselte es von fern. „So gern ich Ihnen auch Hoffnung machen würde.“
Er fuhr herum. Als hätte sich sein Geist aus dem Körper gelöst, sah Daniel sich zu, wie er hinauf in sein Büro stürmte. Wie er keuchte, nach Luft rang und Flüche ausstieß. Wie er zum Schreibtisch stolperte und das Foto in die Hand nahm. „Nein. Er lügt. Er lügt. Dieser elende Scheißkerl lügt.“
Ihre blonden Locken. Ihre grünen Augen. Ihr Lächeln. Alles war in Ordnung. Es war unmöglich. Sie konnte nicht tot sein. Morgen früh würde er zurückkehren, und sie hatte ihm zum Mittag sein Lieblingsessen versprochen. Steak mit gefüllten Kartoffeln. Danach ein stundenlanges Liebesspiel vor dem Kamin, wie sie es immer zelebrierten, wenn er zu lange weg gewesen war. Sie konnte nicht tot sein.
Daniel wählte ihre Festnetznummer, wartete sechs Klingeltöne und hörte plötzlich ihre Stimme.
„Natali? Hallo?“
Herr im Himmel, er würde diesem Sohn einer räudigen Hafenhure den Arsch aufreißen. Er würde ihn windelweich prügeln.
„Großer Gott!“ Daniel gab einen Stoßseufzer von sich. „Du lebst. Du … ich wusste es. Oh mein Gott, es tut mir leid, Schatz, aber …“
„Hallo?“, wiederholte ihre Stimme, um nach einer Pause in Gekicher auszubrechen. „Tut mir leid. Kleiner Scherz. Wir sind momentan nicht zu Hause. Aber nach dem üblichen Piepton können Sie gern Ihre Nachricht hinterlassen.“
Das Telefon fiel ihm aus der Hand. Sein Herz setzte aus. Nein, nein, nein … es konnte nicht sein. Sicher war sie duschen. Oder am Strand. Er nahm den Hörer wieder auf und wählte ihr Handy an. Nichts. Er loggte sich ins Internet ein und rief seine E-Mails ab – nichts. Er versuchte erneut beide Telefonnummern, ließ es klingeln und klingeln, sprach mehrere Nachrichten auf den Anrufbeantworter und fiel, als ihn der Schwindel überwältigte, in seinen Sessel.
„Eine Lüge! Eine elende Lüge. Es kann nicht sein. Sie ist nicht tot. Sie ist nicht tot …“
Provinz Henan, China, Juni 2006
N
ässe tropfte von den Nadeln der Zedern. Der Dunst aus Hitze und Feuchtigkeit, durchdrungen von fahlem Sonnenlicht, hüllte den Gebirgswald in ein unwirkliches Licht. Feste Körper wurden zu zerfließenden Schatten, Illusionen zu Wirklichkeit.
In der Krone eines Ginkgos, dessen Wurzeln wie monströse Boas über die Felsen krochen, hockte ein weißer Ibis. Daniel starrte den Vogel an. Seinen nackten, roten, schartigen Kopf. Die Krone aus wippenden Federn und das wie Schnee gleißende Federkleid. Der Ibis erwiderte den Blick, stieß einen Schrei aus und öffnete die Flügel, um lautlos in den Abgrund zu segeln. Daniel blickte ihm lange nach. Mit einer Schwerelosigkeit, die die menschliche Unzulänglichkeit seines Beobachters verspottete, glitt der Vogel in die dampfende Tiefe des Gebirges hinab. Sonnenstrahlen fingen sich in seinem Gefieder. Bevor er verschwand, leuchtete der Vogel auf wie eine himmlische Erscheinung.
Daniels Disziplin schwand. Der Drang, an Ort und Stelle niederzusinken und seiner
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