Wenn nur noch Asche bleibt

Sprache.“
    „Ruhig Blut“, säuselte Rebecca. „Deine Ungeduld bringt dich noch ins Grab.“
    „Du bringst mich ins Grab“, konterte Daniel. „Du und deine verdammte Ich-hab-alle-Zeit-der-Welt-Einstellung. Wo hast du vorher gearbeitet? Im Schlaflabor?“
    „Die Tinte ist frisch“, murmelte Rebecca, während das Licht der Schreibtischlampe ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare versilberte. Inzwischen, da sie die Fünfzig überschritten hatte, wurden diese grauen Haare als normal betrachtet. In jungen Jahren hingegen war sie deswegen gehänselt worden.
    „Mehr hast du nach all dem Gestarre nicht zu sagen?“, nörgelte er. „Jetzt komm schon. Hör auf mit deinem Spielchen.“
    Rebecca warf ihm einen scharfen Gouvernantenblick zu. „Hetz mich nicht, sonst erfährst du gar nichts.“
    „Hetzen? Ich bin seit fünfzehn Minuten mucksmäuschenstill. Und dir kann man beim Laufen die Schuhe besohlen.“
    „Nervensäge. Also gut. Diese Nachricht ist nicht älter als 24 Stunden. Der Schreiber ist zweifellos Rechtshänder, was uns die Druckpunkte am Anfang der Buchstaben verraten. Sein Schreibstil ist flüssig, seine Fingerfertigkeit ausgeprägt. Zu neunundneunzig Prozent ist er unser Gesuchter.“
    „Es ist Razorbacks Schrift?“ Daniel rückte näher an Rebecca heran und drängte sie beiseite, um einen Blick durch die Lupe zu werfen. Die Verfolgung dieses Bombenlegers zog sich inzwischen über zwei Jahre hin und hatte ihm in der Vergangenheit zu viel Schlaf geraubt. Noch einmal, das schwor er sich bei allem, was ihm heilig war, würde dieser kranke Mistkerl nicht entwischen. „Ich frage mich, wie du aus dem Gekrakel überhaupt was rauslesen kannst.“ Daniel wich zurück und rieb sich die Augen. „Und warum du mit dem, was du herausliest, meistens auch recht hast.“
    „Übung, mein Lieber. Willst du wissen, was er zum Frühstück hatte? Oder wie lange der letzte Geschlechtsverkehr her ist?“
    „Ts …“ Daniel begutachtete das eigentümlich geschwungene W am Anfang des Wortes
Wann
. Wohl nahm er wahr, dass Rebecca sich vorbeugte und an seinen Haaren schnupperte, doch er ließ sie gewähren. Es gab wichtigere Dinge als die Annäherungsversuche einer sich im zweiten Frühling befindlichen Schriftsachverständigen.
    „Eins würde ich gern mal wissen.“ Rebecca gurrte wie eine zum Turteln aufgelegte Taube. „Warum nennst du ihn Razorback?“
    „Er sieht aus wie ein mutiertes Wildschwein. Razorback ist der Lieblingshorrorfilm meiner Frau. Jedes Mal wird sie grün vor Angst und kriecht hinter die Sofakissen.“
    „Und wie siehst du aus?“ Rebecca kicherte mädchenhaft. „Wie ein Karamelltoffee.“
    „Hä?“
    „Deine Haut hat die Farbe von Sahnekaramell. Deine Augen erinnern an Nougat. Die Haare sind eine Mischung aus Bitter- und Nussschokolade. Du solltest sie wachsen lassen. Ungefähr bis hier.“ Rebecca deutete auf ihr Kinn, dann auf ihre Schulter. „Oder besser bis hier. Was meinst du?“
    „Frauen.“ Daniel seufzte, zog den Zettel aus der Halterung und sah auf die geschwungenen Buchstaben. Jeder einzelne erschien ihm wie ein lebendiges, spöttisches Wesen.
    Ihr langweilt mich. Wann wird es endlich spannend? Ich bin die Kinderspiele leid. A. D
.
    „Arschloch Deluxe“, knurrte Daniel. „Oder wie wäre es mit Arschtritt, danke!“
    Rebecca legte den Kopf schief. Das Glitzern ihrer Augen gab ihr einen Hauch verlorener Jugend zurück. „Du bist mir was schuldig.“
    „Ach ja? Soweit ich weiß, machst du nur deinen Job. Somit ist der Einzige, der dir etwas schuldet, unser Arbeitgeber.“
    „Ein Wink von dir und ich würde meinen Mann …“
    „Becca! Hör auf damit. Du bist die Einzige hier, die ich länger als eine Stunde an meiner Seite ertrage. Versau dir dieses Privileg nicht.“
    „Lass einem alten Mädchen doch ihre Träumereien.“ Sie stutzte und warf einen Schulterblick nach hinten. „Aha, der Lieutenant. Sieht so aus, als würde es heute noch spannend werden.“
    Ein bulliger Riese riss die Tür auf und betrat Rebeccas Zimmer mit solch hochmütiger Selbstverständlichkeit, als stattete Zeus seinen Untertanen einen Besuch ab und erwartete mindestens eine Huldigung nebst einem Kniefall. Jeremiah Smith, sein Vorgesetzter. Während die Schriftsachverständige um eine Handbreit schrumpfte, ließ Daniel sich von der Ehrfurcht gebietenden Aura des Riesen nicht beeindrucken. Gelassen steckte er seine Hände in die Taschen des schwarzen Neunhundertdollaranzugs und lehnte