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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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nichts erinnern?“
    „Nein.“ Wie Eiswasser sickerte Angst ihre Wirbelsäule hinab. Diesmal war sie nicht mehr auf einer Ahnung begründet, sondern auf Gewissheit. Etwas stimmte hier nicht. Irgendetwas war geschehen, das sie nicht mehr in eine Illusion aus Harmlosigkeit hüllen konnte. „Ich weiß nichts mehr. Wirklich nicht.“
    „Melden Sie das. Ich muss Sie ausdrücklich darum bitten. Wenn Sie mich fragen, wird die Welt langsam krank und steuert auf ein riesengroßes Chaos zu.“ Dr. Valantine schüttelte monoton den Kopf, während er das Brandmal verband. Als seine Behandlung beendet war, verdunkelte sich sein Gesicht vor Sorge. „Versprechen Sie es mir. Ich frage mich wirklich, warum Sie so lange gewartet haben, bis Sie zu mir gekommen sind. Sie sind eine erwachsene Frau, aber dafür müsste ich Ihnen den Hintern versohlen.“
    Steif vor Beklommenheit stand sie auf. „Ich melde es. Versprochen. Dann bis zum nächsten Mal.“
    „Wenn Sie reden wollen, ich bin zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar.“
    „In Ordnung. Danke für alles.“
    Ihre Beine waren weich wie Butter, als sie die Praxis verließ. Die Wärme der Sonne vermochte es nicht, den Klumpen aus Eis zu schmelzen, der sich in ihrer Körpermitte eingenistet hatte. Die Heimeligkeit der roten Backsteinhäuser, des Hafens und der Schiffe erschien wie die Kulisse zu einem Stephen-King-Film, in dem Idylle nur eine höhnische Maske war. Sie musste sich zusammenreißen. Irgendwer hatte sich einen Scherz mit ihr erlaubt, weiter nichts. Was nützte es, wenn sie sich in unheilschwangeren Gedanken verlor und den Teufel an die Wand malte?
    Der Gedanke, sich im 51 Wharf Restaurant eines der köstlichen Fischgerichte zu gönnen, war verlockend, ging jedoch in der Angst unter, mit vielen Menschen auf engem Raum zusammen zu sein. Mary hasste sich für ihre Schwäche. Wer immer für dieses Brandmal verantwortlich war, er hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau das beabsichtigt – sie zu verunsichern.
    Energischen Schrittes eilte sie zwei Straßen weiter zu ihrem Wagen, schloss auf und fuhr herum, weil sie glaubte, einen Schatten in der gegenüberliegenden Gasse gesehen zu haben. Doch da war nichts. Nur drei Möwen, die auf dem Dachfirst einer Kirche hockten und gafften. Verdammt, sie musste auf den Teppich kommen. Die Sonne schien. Alles war in Ordnung. Es gab keine psychopathischen Geisteskranken, die ihr auflauerten.
    Mary ließ sich in den Sitz fallen, atmete auf und kurbelte das Fenster herunter. Es war warm für Mai. Viel eher hätte es August sein können. Sie zupfte ihre Haare zurecht, frischte den Lippenstift auf und zwinkerte sich im Rückspiegel zu. Wie sehr vermisste sie ihren Mann. Mary stellte sich seinen Duft vor, dachte an seinen Körper, der sich so graziös bewegte wie der einer Raubkatze. Sie dachte an seine Augen und an seine behütende Stärke, während ihre Sehnsucht zu einer kalten Faust wurde, die ihr Inneres zusammendrückte.
    Das Letzte, was sie noch klar wahrnahm, war das Glitzern eines Sonnenreflexes auf ihrem Brillenetui und ein Stich an ihrem Hals. Die Schwärze kam so schnell wie eine Flutwelle aus Teer. Sie sank tiefer, immer tiefer. Wurde von einer zähen Masse schier zerdrückt, kämpfte dagegen an, kam frei und erhob sich zu einem wunderbaren Flug, als wäre sie ein großer, starker Vogel, der zu einem Licht strebte, dessen Schönheit alles bisher Gesehene übertraf.
    Als das Licht zum Greifen nahe war und sein zarter Schein ihren Körper wärmte, begann sie zu fallen. Da war das Geräusch von Wellen. Salz legte sich auf ihre Lippen. Sie wurde aufgefangen, spürte Schmerz an Armen und Beinen, wurde herumgerissen und fallen gelassen. Mühsam öffnete sie die Augen. Ihre Lider waren schwer wie Blei. Unter ihr lag Holz. Bleiches, morsches Treibholz, das aussah wie Knochen. Sie war gefesselt. Jemand hatte sie nackt an einen Baumstamm gebunden, über einem Berg aus Treibholz. Vor ihr rauschte das Meer. Es war Nacht. Finsterste Neumondnacht.
    Mary fürchtete sich nicht, denn sie wusste, dass sie nur träumte. Vor ihr schwebten bleiche Gesichter, die keinen Körper besaßen. Oder nein, da waren Körper, ganz in Schwarz gekleidet, die sich schemenhaft vor den schiefergrauen Kieseln des Strandes abzeichneten. Warum trugen diese Menschen Handschuhe, obwohl die Nacht warm war?
    Nun, warum nicht? Sie träumte eben. Wäre sie nicht gefesselt, hätte sie sich gekniffen, um aufzuwachen. Mary hörte sich kichern, weil die

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