Wenn Tote schwarze Füße tragen
Bras-de-Fer?“
„Ja.“
„Ist nichts aus der Straße gemeldet
worden?“
„Nein.“
„Sehr gut. Haben Sie dort in der
Gegend zufällig einen Freund, den Sie besuchen könnten, so daß es plausibel
erscheint, wenn Sie sich in der Straße aufhalten?“
„Ich könnte einen Weg finden…“
„Dann finden Sie ihn und benutzen Sie
ihn in etwa zehn Minuten. Wenn die Flics auf den Plan treten, brauchen Sie
ihnen nur zu folgen.“
„Was?“
„Nur die Ruhe, mein Lieber! In zehn
Minuten, ja? Bei der Hitze wird es so langsam Zeit...“
„Wie... wie bitte?“
„Nichts. Hier spricht nur der
Wetterbericht.“
Ich lege auf, gehe zur Theke, trinke
einen Aperitif und begebe mich wieder in die Telefonkabine, um die Verkäuferin
von Heimchenkäfigen anzurufen.
„Oh, guten Tag, Madame“, sage ich,
wobei ich mich bemühe, den Akzent meiner Kindheit wieder anzunehmen. „Hier
Inspektor Dalor von der Zentrale. Sagen Sie, Madame, Sie kennen doch
Mademoiselle Crouzait von nebenan, nicht wahr? ... Ah, gut, sehr gut... Stellen
Sie sich vor, die Ärmste... Ihr Vater hatte einen Unfall, und wir müssen sie
benachrichtigen. Könnten Sie sie vielleicht an den Apparat holen?“
„Einen Unfall? Oh, das ist ja
schrecklich! Ist es schlimm? Ich werd’ meinen Kleinen sofort zu ihr
hochschicken. Donnerstag nachmittags weiß er sowieso nicht, was er tun soll.“
„Eben! Vielen Dank, Madame.“
Behutsam lege ich den Hörer auf die
Gabel. Der Kleine wird Stielaugen machen und wahrscheinlich ein Leichentrauma
davon tragen. Hoffentlich vergißt er darüber nicht, das ganze Viertel
zusammenzuschreien!
Der Mechanismus ist in Gang gesetzt.
Ich verwende meine letzte Telefonmarke, um es noch einmal bei Dorville zu
versuchen. Zufällig ist er zu Hause. Ich hätte Neuigkeiten für ihn, sage ich,
und würde bei ihm vorbeikommen, um sie ihm mitzuteilen.
* * *
„Himmeldonnerwetter!“ ruft Dorville
aus. „Was hat das zu bedeuten?“
Ich habe ihm soeben mein Erlebnis in
der Rue Bras-de-Fer geschildert. Er zerknüllt den Stoffetzen, den ich in der
Asche des Kohleofens gefunden habe, in seiner Hand, so als wolle er eine
Antwort herauspressen.
„Das bedeutet, daß die Dinge eine üble
Wendung nehmen“, antworte ich. „Aber wir wollen uns nicht verrückt machen. Ich
habe schon Schlimmeres erlebt.“
„Aber was ist mit Agnès?“
„Nun, sie hat in der letzten Zeit ein
Doppelleben geführt. Um aus dem schäbigen Leben, über das sie sich beklagt hat,
auszubrechen, hat sie auf das älteste Mittel der Welt zurückgegriffen: Sie hat
sich einen Freund zugelegt, der ihre Garderobe bezahlt. Da sie in den
Luxuskleidchen nicht ständig herumlaufen kann, hat sie Christines Wohnung
benutzt, um... Apropos, wann haben Sie die Friseuse besucht?“
„Letzten Freitag, gegen Abend. Das hab
ich Ihnen doch schon erzählt!“
„Und woher hatten Sie ihre Adresse?“
„Agnès hat sie ihrem Vater gegeben.
Wie Sie ja wissen, hat sie vorgegeben, bei Mademoiselle Crouzait zu schlafen,
wenn sie nicht nach Hause gekommen ist.“
„Sie hat also darauf vertraut, daß
Christine ihre Angaben bestätigen würde?“
„Sicher.“
„Und dennoch hat Christine gleich bei
Ihrer ersten Unterhaltung zugegeben, daß es sich um eine Lüge gehandelt hat?“
„Ja.“
„Finden Sie das nicht merkwürdig?“
„Warum? Agnès hat sich in ihr
getäuscht, das ist alles.“
„Ja, vielleicht. Haben Sie die
Friseuse gefragt, wo Agnès übernachtet hat, wenn sie weder zu Hause noch in der
Rue Bras-de-Fer war?“
„Natürlich. Sie hat geschworen, daß
sie nichts wisse. So eng seien sie nicht miteinander befreundet, daß Agnès ihr
das anvertrauen würde.“
„Wie haben sich die beiden
kennengelernt?“
„Wahrscheinlich in dem Salon, in dem
diese Christine arbeitet... Wo lernt man sonst eine Friseuse kennen?“ fügt er
achselzuckend hinzu.
„Ja, allerdings... Apropos Salon:
Christines Wohnung war für Agnès so eine Art Modesalon. Ich stelle mir das
folgendermaßen vor: Nach der Schule läuft Agnès in die Rue Bras-de-Fer —
sicherlich hat sie einen Wohnungsschlüssel — und zieht sich um. Hübsch
herausgeputzt, geht sie dann zu ihrer Clique, um auf der Esplanade zu
flanieren. Ihre Freunde stammen nicht von der Schule. Das tägliche Vergnügen
dauert nicht lange, aber es ist immerhin etwas. Wenn es dann Zeit ist, an den
heimischen Herd zurückzukehren, geht sie wieder zu Christine und zieht ihre
üblichen, schäbigen Klamotten an. Wenn sie nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher