Wenn Tote schwarze Füße tragen
dagegen, daß der Kerl, der mich niedergeschlagen
hat, die Friseuse stranguliert hat, nachdem er ihre Adresse auf der Liste
gelesen hatte? Und warum sollte er seine „Tournee“ nicht fortsetzen? Der
Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht, um es vorsichtig auszudrücken. Ich
lasse den Motor an.
* * *
Ich habe mich umsonst aufgeregt.
Solange Bacan, Mitschülerin und Freundin von Agnès Dacosta, hat noch von
niemandem Besuch bekommen — außer vor ein paar Tagen von Dorville — , als ich
sie in der neunten Etage eines Betonklotzes in der Cité de la Source besuche.
Und sie ist gesund und munter, so daß mir ein Stein vom Herzen fällt. Ich
sollte nicht alles gleich so dramatisieren, das schadet der Gesundheit. In
Gegenwart ihrer Mutter erkläre ich dem Mädchen, daß ich ein Freund von Dacosta
sei, der sich Sorgen mache, weil — warum es länger verheimlichen? — seine
Tochter die Koffer gepackt habe, und ob sie, Solange, mir ein paar Fragen
beantworten wolle... Sie weiß wirklich nichts. Die beiden Freundinnen haben
sich am Dienstag, dem 3. Mai, bei Schulschluß gegen 17 Uhr zum letzten Mal
gesehen. Sie, Solange, sei direkt nach Hause gegangen, weil sie nämlich ein
anständiges Mädchen sei... Agnès sei es demnach nicht? Na ja, also...
eigentlich... In letzter Zeit habe sie sich mit einer Clique herumgetrieben,
die nicht von der Schule sei...
Ich habe das Gefühl, daß Solange
Bacan, Freundin von klein auf, Agnès nicht riechen kann. Aber um richtige
Verleumdungen zu erfinden, fehlt es ihr an der nötigen Phantasie. Deswegen hält
sie sich zurück. So höflich wie möglich verabschiede ich mich. Der Name
Christine Crouzait ist während der Unterhaltung nicht ein einziges Mal
gefallen.
* * *
Serge Estarache wohnt zwei
Häuserblocks weiter, ebenfalls ganz oben in einem der Silos. Auch er lebt noch
bei seinen Eltern. Ich treffe ihn jedoch alleine an. Er ist ein netter Junge
mit fiebrigen Augen. Richtig, er ist ja seit drei Wochen krank! Im Bademantel
hört er Radio, soweit es ihm das Geplärr der Gören ein paar Etagen tiefer
erlaubt. Ich sage meinen Spruch auf und beginne mit der Fragerei.
Es wird jetzt einen Monat her sein,
daß er Agnès zum letzten Mal gesehen hat. Trotzdem erfahre ich von ihm einiges
über das Mädchen. Serge Estarache gehört nämlich zu der Clique von jungen
Leuten — pieds-noirs und Französischstämmige gemischt — , die sich zur
Aperitif-Zeit am Musikpavillon der Esplanade trifft. Agnès habe in der letzten
Zeit nicht sehr glücklich ausgesehen, meint er.
„Wissen Sie, Monsieur, sie ist eher
verschlossen. Sich jemandem anzuvertrauen, ist nicht ihre Art. Aber ich habe
oft gehört, wie sie sich über die ärmlichen Verhältnisse ihres Vaters — und
damit auch über ihre eigenen — beklagt hat.“
„Dacostas Geschäfte scheinen
tatsächlich nicht eben gut zu laufen“, bemerke ich.
„Ach, Dacostas Geschäfte“, seufzt der
Junge vielsagend. „Na ja... aber... Dafür war Agnès manchmal verdammt chic
angezogen.“
„Wie das denn? Ich habe ihren
Kleiderschrank gesehen. Unter uns gesagt, ihre Garderobe ist ziemlich dürftig.“
„Finde ich überhaupt nicht. Ich kann
Ihnen nicht genau beschreiben, was sie in letzter Zeit anhatte, aber sie
wechselte ihre Kleider häufiger als jedes andere Mädchen. Sogar einen
neumodischen Fummel mit diesen geometrischen Figuren...“
„Mit geometrischen Figuren?“ hake ich
nach. „Op-art vielleicht?“
„Ja, ich glaube, so nennt man das.
Gelb und blau.“
Solch einen „Fummel“ habe ich in Christine
Crouzaits Kleiderschrank gesehen! Ich warte darauf, daß der Name der Friseuse
fällt, doch er fällt nicht. Serge Estarache fährt fort: „Ein guter Stoff, kein
Ramsch! Das gleiche Modell hab ich im Schaufenster gesehen. Kostet so um die 60
000. Agnès besitzt auch einen Übergangsmantel...Alle Achtung! Wenn Monsieur
Dacosta seiner Tochter solche Extravaganzen erlauben kann, dann ist er nicht so
knapp bei Kasse, wie verbreitet wird... oder wie er verbreiten läßt.“
„Es sei denn, Agnès hat die Klamotten
nicht von ihrem Vater. Haben Sie an diese Möglichkeit schon gedacht?“
„Meinen Sie damit, daß... daß sie
jemanden hat?“
„Warum denn nicht?“
„Na, also wirklich! Ich wüßte nicht,
wer das sein könnte. Aus unserer Clique jedenfalls keiner.“
„Jetzt mal was anderes: Vor ein paar
Tagen hat sich Monsieur Dorville bei Ihnen nach Agnès erkundigt, nicht wahr?“
„Ja, das stimmt. Ich habe ihm
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