Wenn Wir Tiere Waeren
aus, weil der Satz ein Problem anriss, das uns schon lange beschäftigte. Wir hatten keinen gemeinsamen Hausstand, wir lebten nach wie vor in zwei getrennten Wohnungen. Maria wollte, dass wir in einer gemeinsamen Wohnung lebten, am besten in meiner, weil ich – im Prinzip jedenfalls – nichts gegen ein Zusammenleben mit Maria hatte.
Tatsächlich hausten wir, besonders an Wochenenden, wie ein seit langer Zeit aufeinander eingespieltes Paar zusammen, in der Regel bei mir. Um den Konflikt wenigstens anzudeuten, verweise ich nur auf meine Erleichterung, wenn Maria nach einem gemeinsamen Wochenende am Montagmorgen meine Wohnung wieder verließ. Ich hielt den Konflikt geheim, weil ich nicht erklären konnte, worin meine Erleichterung denn bestand, wenn Maria am Montagmorgen wieder ging. Ich empfand nur ein vages Freiheitsgefühl, ein endlich wieder eingetretenes Unbelastetsein. Ich fand dieses Gefühl selbst ungerecht, weil Maria sich nichts zuschulden kommen ließ, wenn ich von ihrem gelegentlichen Alkoholismus einmal absehe. Ich hielt den Mund und litt in mich hinein. Das wiederum fand ich nicht ungewöhnlich, denn ich war voll von diesen kleinen Unaufrichtigkeiten, die das fortgeschrittene Leben mit sich bringt wie Hornhaut an den Fersen oder ein überzogenes Konto.
Am Rand des Friedrich-Ebert-Platzes stand das Kaufhaus ELITE. Es war ein kleines, einstöckiges Kaufhaus, in dem es Haushaltswaren, Kinderkleidung, Schuhe, Kittelschürzen und eine Cafeteria gab, außerdem einen Schlüsseldienst und eine Ein-Mann-Schuhmacherei. Mir fiel ein, dass ich hier einen neuen Wasserkessel kaufen könnte, dann hätte ich wenigstens eine der Anschaffungen hinter mir. Maria sagte, in unserem Wasserkessel (sie meint: meinen Wasserkessel) befinde sich so viel Kalkstein, ich solle ihn wegwerfen. In früheren Jahren hatte ich über die Kühnheit des Kaufhauses, sich ELITE zu nennen, lachen können, heute nicht mehr. Ich hatte lange nichts mehr im ELITE gekauft, aber jetzt, als ich durch das Erdgeschoss schlenderte, war ich doch erschüttert. Es war fast leer. Die Verkäuferinnen standen unbeschäftigt hinter ihren Verkaufstischen und warteten, dass jemand etwas kaufte. Insofern war ich für sie vielleicht ein Hoffnungsschimmer. Ich steuerte die Haushaltsabteilung am anderen Ende des Erdgeschosses an. Ich hatte schon viel über die Krise der Kaufhäuser gelesen, aber dass es so schlimm aussah, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich fragte mich (weil ich ebenfalls nur noch selten Kaufhäuser aufsuchte), ob mich eine Mitschuld am Niedergang der Kaufhäuser trifft. In meiner Jugend herrschte in den Kaufhäusern jeden Tag ein Riesengetümmel. Die Leute strahlten, wenn sie etwas zum Kaufen gefunden hatten oder auf einer der neuen Rolltreppen in ein höher liegendes Geschoss fahren durften. Es muss damals ein Glück gewesen sein, in einem Kaufhaus umherzugehen. Alles weg! Ich blieb sogar stehen und staunte über die Leere ringsum. Der Wasserkessel, den ich erstand, kostete nur 3,50 Euro, worüber ich erneut ein flüchtiges Schuldgefühl hatte. Ich überlegte, ob ich hiernicht gleich ein neues Bett kaufen sollte, aber Betten gab es hier nicht, nur Bettwäsche. Sollte ich noch schnell ein größeres Kaufhaus aufsuchen und heute noch ein neues Bett kaufen, damit mein guter Wille deutlich wurde?
Aber es war mir nicht möglich, mehr als ein Kaufhaus pro Tag zu betreten, und auch dies nur höchstens einmal in der Woche. Maria fand mich in dieser Hinsicht zu zaghaft. Sie hatte mir schon öfter angeboten, gemeinsam mit ihr ein neues Bett zu kaufen. Sie versprach sich davon eine größere Effizienz. Sie sagte tatsächlich: Effizienz. Das war eines der Worte, die in ihrer Werbeagentur häufig verwendet wurden. Ich gebe zu, meine mangelhafte Kauffreude hatte, was das Bett betraf, einen delikaten Hintergrund, über den ich mit Maria nicht sprach. Tatsächlich hatte ich in meinem Bett schon mit Thea über viele Jahre hin geschlafen. Ich hatte daran viele außerordentliche Erinnerungen. Wenn Maria von diesem Zusammenhang gewusst hätte, wäre sie empört gewesen und hätte vielleicht über Konsequenzen nachdenken müssen. Auch das Wort Konsequenzen stammte aus der Werbeagentur. Es war schön, eine mit vielen Körperdetails angefüllte Zeit über die Jahre hin durch das Leben zu schleppen. Wenn ich kühn gewesen wäre, hätte ich mir jetzt einen neuen Anzug gekauft. Aber ich war nicht kühn, ich fühlte mich schwächlich durch zu viele Erinnerungen.
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