Wenn Wir Tiere Waeren
wie meine Mutter, antwortete ich.
Ich bin inzwischen auch deine Mutter.
Du spinnst, sagte ich.
Mütter spinnen oft, sagte sie.
Es entstand ein Schweigen. Dann sagte ich: Das unablässige Beobachtetwerden trifft mich im Innersten. Außerdem will ich nicht immerzu funktionieren.
Ich weiß, sagte Maria.
Im Kern bin ich ein Drückeberger, sagte ich; wenn es sein muss, zögere ich drei Stunden lang, um mit einer kleinen Arbeit endlich anzufangen.
Ich habe nicht gewusst, dass es so schlimm ist.
Es ist sogar noch schlimmer. Mein ganzer Individualismus ist nur ein kindisches Versteckspiel, das ich trotzdem nicht aufgeben will. Ich zögere sogar das Scheißen hinaus,wenn ich nicht die richtige Klostimmung habe. Und wenn ich nicht telefonieren will, nehme ich den Hörer nicht ab. Ich stehe neben dem Apparat und warte, bis das Klingeln aufhört.
Das wird bei Erlenbach & Konsorten nicht gehen, sagte sie.
Ich kann nur arbeiten, wenn ich in der Arbeit auch meine Arbeitsunlust mitleben kann.
Hast du eine Idee, was hinter der Verweigerung steht?
Gleichgültigkeit, Überdruss, Ekel, Melancholie, sagte ich.
Und dahinter ?
Mein Gott, seufzte ich, dahinter steht das Gefühl meines inneren Absterbens.
Maria schaute mich an.
Das kenne ich sehr gut, sagte sie dann.
Kämpfst du dagegen?
Ja, antwortete sie, und ich bin noch unbegabter als du.
Worin besteht dein Kampf?
Na, du weißt doch, ich trinke.
Wir haben keine Chance, sagte ich, neben das gelebte Leben tritt das gefürchtete Leben.
Jetzt wirst du auch noch klug, sagte Maria.
Man muss seiner Mutter gefallen.
Wir lachten kurz, danach trat Stille ein. Zwischendurch dachte ich an Karin. Obwohl ich sie immer noch kaum kannte, würde ich sie in Kürze lieben. Ich hielt der Enthüllung, dass es vermutlich egal war, wen man liebte, kaum stand. Aus Ratlosigkeit trat ich ans Fenster und sah auf den Gehweg hinunter. Eine Hochschwangere ging vorüber. Ihre stark vergrößerten Brüste lagen wie langgestreckte Beutel auf ihrem Leib. Der Anblick gefiel mir. Im Radioerklang Mozarts einziges Fagott-Konzert in B-Dur. Es war nicht leicht, aus der Stille herauszutreten. Ich fühlte mich beschämt, wusste aber nicht weshalb. Kein Mensch, dachte ich, ist zu einer wahrheitsgemäßen Darstellung seiner inneren Lage fähig. Das war schon wieder klug, also irgendwie unbrauchbar. Wenn ich mich nicht täuschte, stand uns eine Peinlichkeit bevor. Undurchschaubare Einzelheiten durchkreuzten unser Leben. Ich fürchtete, dass meine gewöhnliche tägliche Trauer irgendwann in ein leichtes Deppentum übergehen könnte. Wieder sehnte ich mich nach einer Lebenseinfalt, die es nicht gab.
Hast du eine Ahnung, was wir machen könnten? fragte Maria.
Gibts einen neuen Film?
Ach Kino, sagte Maria.
Weißt du was Besseres?
In einem Dorf im Rheingau gibts ein Weinfest.
Im Rheingau, fragte ich, wo liegt das?
Man kann mit der S-Bahn hinfahren, sagte Maria.
Wie lange dauert das? fragte ich.
Etwa zwanzig Minuten.
Du warst schon einmal dort? fragte ich.
Vor sehr langer Zeit, sagte Maria, als Kind.
Es entstand wieder Stille. Mit Volksfesten konnte ich nicht viel anfangen. Mir passte nicht, dass der Tag verging und ich immer noch nicht wusste, wie ich mich zu Erlenbach & Wächter verhalten sollte. Maria sah, dass mein Unbehagen nicht verschwand. Ich öffnete die Balkontür, der Sommer drang in das Zimmer.
Dann sagte Maria: Es ist für dein weiteres Leben nicht wichtig, ob du den Job annimmst oder nicht.
Ich verstand nicht sofort.
Als ich schwieg, sagte Maria: Ich meine, du wirst sowieso erst in etwa fünf Jahren wirklich wissen, welche Entscheidung gut für dich gewesen ist und welche nicht.
Und deswegen ist es gleichgültig?, fragte ich, wie ich mich jetzt entscheide?
Es ist nicht völlig gleichgültig, fünf Jahre sind fünf Jahre, sagte Maria; ich an deiner Stelle würde den Job annehmen, weil du nicht weißt, ob man dir in fünf Jahren noch einmal eine solche Chance geben wird. Ob das gut war, wirst du frühestens in fünf Jahren wissen. Wenn du aber die Stelle ablehnst, wirst du auch das nicht wissen, das meine ich.
Ich fand die Überlegung zwingend. Wie so oft, wenn mich Marias Denkfähigkeit überraschte, verfiel ich in Respekt und Bewunderung. Im Grunde hatte Maria soeben entschieden, dass ich die Stelle annehmen musste. Und zwar hatte sie die Frage im Sinne meiner Interessen entschieden. Es war plötzlich sinnlos geworden, sich weiter zu verweigern.
Etwa dreißig Minuten später
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