Wenn Wir Tiere Waeren
werden. Eines der gerade ruhig stehenden Pferde begann zu scheißen. Es sah befreiend aus, wie sich zwischen den riesigen Hinterbacken des Pferdes ein paar grüngelbe Bollen herausschoben und dampfend auf die Straße herunterfielen. Ich glaubte momentweise, dass nicht das Pferd schiss, sondern der auf dem Pferd sitzende Polizist. Nein, es sah sogar noch phantastischer aus: Als würde der aufsitzende Polizist durch den Leib des Pferdes hindurchscheißen. Meine gute Laune hielt an, bis ich zu Hause eintraf. Dort stellte ich fest, dass der Sattel meines Fahrrads gestohlen worden war. Das Fahrrad war angekettet, sonst hätte der Dieb womöglich das ganze Rad mitgenommen.Obwohl ich jetzt angemüdet war, ging ich zur nächsten Polizeiwache und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Eine junge Polizistin sagte, dass ein Sattel von geringem Wert sei. Ich wusste nicht, was ich mit der Mitteilung anfangen sollte. Es klang, als wollte mir die Polizistin sagen, ich solle die Anzeige wegen Belanglosigkeit unterlassen. Ein älterer Polizist kam aus dem Nebenzimmer, spannte ein Formular mit mehreren Durchschlägen in eine Schreibmaschine und nahm die Anzeige auf. Er fragte: Ist Ihr Fahrrad versichert?
Ja, sagte ich.
Wahrscheinlich werden Sie sich einen neuen Sattel kaufen?
Vermutlich, sagte ich.
Dann schicken Sie eine Kopie der Rechnung und eine Kopie der Anzeige an die Versicherung, dann kriegen Sie den Kaufpreis ersetzt.
Ich unterschrieb die Anzeige, der Polizist gab mir eine Kopie. Ich ging noch einmal in die Innenstadt und kaufte für 29,– Euro einen neuen Sattel.
Schicken Sie die Rechnung an Ihre Versicherung? fragte der Angestellte.
Ja, sagte ich, zusammen mit der Anzeige bei der Polizei.
Genau, sagte der Angestellte.
Der Mann kassierte die 29,– Euro für den Sattel, schrieb mir jedoch eine Quittung über 89,– Euro. Ich verstand nicht sofort und hielt den Mund.
Der Angestellte sagte: Man soll jeden Tag eine gute Tat vollbringen, das habe ich bei der evangelischen Jugend gelernt.
Er lachte und übergab mir die Quittung. Erst draußen auf der Straße wurde mir klar, dass ich soeben an einer kleinen Gaunerei teilgenommen hatte. Offenbar war esjetzt schon so, dass ein gewöhnliches Fahrradgeschäft jederzeit, ohne gebeten worden zu sein, einen Kleinbetrug einzuleiten bereit war. Mir kam ein kleiner fremd bleibender Gedanke: Durch ein lächerliches Vergehen war ich momentweise individuell geworden. Der Gedanke verlor seine Fremdheit und wurde mit mir intim. Es war jetzt so, als wäre ich durch den Betrug dem täglich drohenden Gefühl der Abgenutztheit kurzfristig entkommen. Dieses Gefühl blieb bestehen, bis Maria am Abend zu mir kam. Sie trug eine helle, fast durchsichtige Bluse, und einen BH, von dem ich wusste, dass er ihr zu klein war. Obwohl ich das Angebot von Erlenbach vorerst für mich behalten wollte, konnte ich mich nicht beherrschen. Und obwohl Maria angetrunken war, freute sie sich und wurde hellwach.
Und? Nimmst du an? fragte sie.
Das ist die Frage, sagte ich.
Was ist die Frage?
Du weißt, dass ich meine Unabhängigkeit schätze, sagte ich.
Das ist klar, sagte Maria, aber die Zeiten sind ernst.
Du meinst, einen solchen Job darf ich mir jetzt nicht entgehen lassen?
Genau das meine ich.
Das ist mir zu ängstlich, sagte ich.
Du musst dir auch überlegen, was geschehen könnte, wenn du ablehnst. Erlenbach könnte eingeschnappt sein und dir keine Aufträge mehr geben, sagte Maria.
Das ist ein Argument, gab ich zu.
Und was würdest du dagegen machen?
Dagegen könnte ich gar nichts machen; ich kann nur darauf vertrauen, dass ich auch von anderen Büros Aufträge kriege, wenn ich mich bemühe.
Du hast dich schon oft bemüht und es hat kaum etwas geklappt, sagte Maria.
Ja ja, ich weiß; was würdest du machen?
Ich würde den Job annehmen, um ihn auszuprobieren. Vielleicht gefällt es dir ja bei Erlenbach. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du wieder gehen.
Das ist gut gedacht, sagte ich. Die Verhältnisse sind klebrig. Wenn ich mal drin bin, bin ich drin, ob es mir gefällt oder nicht. Und außerdem, wenn ich wieder weggehe, nachdem ich eine Weile angestellt war, könnte Erlenbach sogar noch beleidigter sein.
Was fürchtest du am meisten?
Das dauernde Beobachtetwerden. Alle wissen in jeder Minute, was du gerade tust und wann man dir eine neue Arbeit auf den Schreibtisch legen muss.
Aber dafür kriegst du jeden Monat dein Gehalt und musst nicht am Wochenende arbeiten, sagte Maria.
Du redest
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