Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
versuchte er, sich bei reichen Leuten lieb Kind zu machen. Und er verlangte von mir, daß ich mich mit Mädchen anfreundete, deren Eltern Geld oder gute Beziehungen hatten.
»Und wie war Molly, abgesehen von ihrem Äußeren?«
»Sehr nett«, erwiderte Fran. »Als mein Vater starb und es bekannt wurde, was er getan hatte – der Selbstmord und die Unterschlagung –, zog ich mich völlig zurück. Molly wußte, daß ich täglich zum Joggen ging, und eines Morgens wartete sie auf mich. Sie sagte, sie wolle mir einfach eine Weile Gesellschaft leisten. Da ihr Vater dem Bibliotheksverein riesige Summen gespendet hatte, können Sie sich sicher vorstellen, wieviel diese freundschaftliche Geste für mich bedeutete.«
»Sie brauchten sich doch nicht dafür zu schämen, daß Ihr Vater einen Fehler gemacht hat«, tadelte Gus.
»Ich habe mich nicht für ihn geschämt«, entgegnete Fran barsch. »Er tat mir nur leid, und wahrscheinlich war ich auch wütend. Warum glaubte er, meine Mutter und mich mit Geld überschütten zu müssen? Nach seinem Tod wurde uns klar, was er in den letzten Tagen durchgemacht hatte, denn im Bibliotheksverein sollte eine Buchprüfung stattfinden, und er wußte, daß man ihm auf die Schliche kommen würde.« Sie hielt inne und fügte dann leise hinzu: »Natürlich hat er falsch gehandelt. Er hätte das Geld nicht nehmen und auch nicht denken sollen, daß wir es brauchten. Aber er war schwach. Inzwischen ist mir klar, wie entsetzlich unsicher er gewesen sein muß. Und dennoch war er ein sehr lieber Mensch.«
»Dr. Gary Lasch vermutlich auch. Außerdem hatte er ein Gespür fürs Finanzielle. Die Lasch-Klinik genießt einen ausgezeichneten Ruf, und vom Remington-Gesundheitsdienst könnte sich so manche vergleichbare Organisation eine Scheibe abschneiden.« Gus lächelte. »Aber da Sie und Molly zusammen in der Schule waren, müssen Sie sie doch besser kennen. Glauben Sie, daß sie es war?«
»Daran besteht kein Zweifel«, antwortete Fran wie aus der Pistole geschossen. »Die Beweislast gegen sie war erdrückend. Und ich habe schon genügend Mordprozesse beobachtet, um zu wissen, wie viele Menschen, denen man es eigentlich gar nicht zutraut, ihr Leben ruinieren, weil sie nur für einen Sekundenbruchteil die Beherrschung verlieren. Allerdings müßte Molly sich seit unserer letzten Begegnung sehr verändert haben. Denn eigentlich fällt es mir schwer, sie mir als Mörderin vorzustellen. Vielleicht hat sie die Tat ja verdrängt, weil sie so gar nicht zu ihr paßt.«
»Deshalb eignet sich dieser Fall ja so gut für unsere Sendung«, meinte Gus. »Machen Sie sich an die Arbeit. Wenn Molly Lasch nächste Woche aus dem Niantic-Gefängnis entlassen wird, werden Sie zum Empfangskomitee gehören.«
2
E ine Woche später wartete Fran inmitten einer großen Gruppe von Reportern vor dem Gefängnistor. Da es ein kühler Märztag war, hatte sie den Mantelkragen hochgeschlagen, die Hände in die Taschen gesteckt und ihre liebste Skimütze aufgesetzt. Ed Ahearn, ihr Kameramann, war mit von der Partie.
Wie immer murrten die Reporter über das miserable Wetter und die unchristliche Stunde. Windböen trieben eisige Schneeregenschauer vor sich her. Natürlich erörterten viele der Anwesenden noch einmal die Einzelheiten des Falles, der vor fünfeinhalb Jahren im ganzen Land Schlagzeilen gemacht hatte.
Fran hatte, das Gefängnis im Hintergrund, bereits einige Berichte in die Kamera gesprochen. Schon am frühen Morgen hatte der Sender ihre Live-Reportage gebracht: »Wir stehen hier vor dem Tor des Niantic-Gefängnisses in Connecticut, aus dem Molly Carpenter Lasch in wenigen Minuten entlassen werden wird. Sie hat eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verbüßt, nachdem sie sich dazu bekannt hat, ihren Mann Gary Lasch im Affekt erschlagen zu haben.«
Während Fran auf Mollys Erscheinen wartete, lauschte sie den Gesprächen der Umstehenden. Nach allgemeiner Auffassung war Molly eindeutig schuldig und hatte es nur ihrem Glück zu verdanken, daß sie schon nach fünfeinhalb Jahren wieder auf freien Fuß kam. Niemand glaubte ihr, daß sie sich an die Tat nicht erinnern konnte.
Als Fran eine dunkelblaue Limousine hinter dem Hauptgebäude des Gefängnisses auftauchen sah, gab sie sofort ihrem Sender Bescheid. »Philip Matthews’ Wagen fährt los«, sagte sie. Mollys Anwalt war vor einer halben Stunde eingetroffen, um seine Mandantin abzuholen.
Ahearn schaltete die Kamera ein.
Auch die anderen hatten das Auto entdeckt.
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