Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
»Ich wette, wir vergeuden hier nur unsere Zeit«, bemerkte der Reporter von der Post . »Zehn zu eins, daß sie sich sofort aus dem Staub machen, sobald das Tor aufgeht. Halt, Moment mal!«
Währenddessen sprach Fran leise in ihr Mikrophon: »Der Wagen mit Molly Carpenter Lasch hat gerade die Fahrt in die Freiheit begonnen.«
Dann jedoch starrte sie entgeistert die schlanke Gestalt an, die neben dem dunkelblauen Auto marschierte. »Charley«, wandte sie sich an den Nachrichtensprecher im Studio. »Molly Lasch sitzt nicht im Auto, sondern geht zu Fuß. Offenbar hat sie uns etwas zu sagen.«
Blitzlichter leuchteten auf, Kameras liefen und Mikrophone richteten sich auf Molly Carpenter Lasch, als sie am Tor stehenblieb und darauf wartete, daß es sich öffnete. Ihre Miene war die eines Kindes, das zum erstenmal ein mechanisches Spielzeug sieht. »Es ist, als traue Molly ihren Augen nicht«, sprach Fran ins Mikrophon.
Kaum war Molly auf die Straße getreten, als sie schon von Reportern umringt und mit Fragen bestürmt wurde. »Wie fühlen Sie sich in der Freiheit? … Haben Sie sich diesen Moment so vorgestellt? … Werden Sie Garys Familie besuchen? … Glauben Sie, daß Sie sich später einmal an jene Nacht erinnern können?«
Fran zückte zwar wie ihre Kollegen das Mikrophon, hielt sich aber bewußt ein wenig abseits. Sie war sicher, daß ihre Chancen auf ein Interview gleich Null sein würden, wenn sie Molly jetzt verärgerte.
Molly brachte die Reporter mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Bitte, lassen Sie mich etwas sagen«, meinte sie leise.
Sie ist so blaß und mager, dachte Fran. So, als wäre sie krank gewesen. Daß sie sich so verändert hat, liegt nicht nur daran, daß sie älter geworden ist. Mollys früher goldblondes Haar war nun so dunkel wie ihre Brauen und
Wimpern. Außerdem trug sie es länger als in ihrer Schulzeit und hatte es im Nacken mit einer Spange zusammengefaßt. Ihre ohnehin helle Haut war heute so weiß wie Alabaster. Und die Lippen, die damals so oft gelächelt hatten, waren ernst zusammengepreßt. Wahrscheinlich hatte sie schon lange keinen Grund zur Freude mehr gehabt.
Allmählich verstummten die Fragen. Es herrschte Totenstille.
Philip Matthews war ausgestiegen und baute sich neben Molly auf. »Molly, lassen Sie das lieber. Dem Bewährungsausschuß wird das gar nicht gefallen«, warnte er sie, doch sie achtete nicht auf ihn.
Neugierig betrachtete Fran den Anwalt. Er wird sicher einmal so berühmt werden wie der Verteidiger von O. J. Simpson, überlegte sie. Mich interessiert, was für ein Mensch er ist. Matthews war durchschnittlich groß, hellblond, hager und wachsam. Er erinnerte Fran an einen Tiger, der sein Junges beschützt, und es hätte sie nicht gewundert, wenn er Molly gewaltsam ins Auto gezerrt hätte.
Molly blickte direkt in die Kameras und sprach laut und deutlich in die Mikrophone. »Ich bin dankbar dafür, daß ich nach Hause darf. Um Bewährung zu bekommen, mußte ich zugeben, daß ich allein die Schuld am Tod meines Mannes trage. Ich mußte gestehen, daß die Beweislast erdrückend war. Dennoch möchte ich Ihnen allen sagen, daß ich trotz all dieser Beweise nie einem Menschen das Leben nehmen könnte. Davon bin ich in meinem tiefsten Inneren überzeugt. Ich weiß, daß meine Unschuld vielleicht nie bewiesen werden kann. Aber ich hoffe, daß ich die vollständige Erinnerung an diesen schrecklichen Abend möglicherweise wiederfinde, wenn erst einmal ein wenig Frieden in mein Leben einkehrt. Erst an diesem Tag werde ich zur Ruhe kommen und wieder an die Zukunft denken können.«
Sie hielt inne. Als sie weiter sprach, klang ihre Stimme entschlossener. »Inzwischen ist mir ein kleiner Teil dessen eingefallen, was sich an jenem Abend ereignet hat. Ich erinnere mich, daß ich Gary sterbend in seinem Arbeitszimmer entdeckte. Und seit kurzem weiß ich noch etwas: Ich bin absolut sicher, daß sich bei meiner Ankunft eine dritte Person im Haus aufhielt; und ich glaube, daß dieser Unbekannte meinen Mann getötet hat. Ich bin überzeugt, daß dieser Mensch nicht nur ein Produkt meiner Fantasie ist, sondern daß es ihn wirklich gibt. Ich werde ihn aufspüren, denn er muß dafür bezahlen, daß er Gary ermordet und mein Leben zerstört hat.«
Ohne auf die Fragen zu achten, die nach ihrer Ansprache auf sie niederprasselten, drehte Molly sich um und stieg in den Wagen. Nachdem Matthews die Beifahrertür hinter ihr geschlossen hatte, eilte er um das Auto herum und nahm
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