Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
Gary gewesen.
»Molly, stehen Sie auf, der Richter verläßt den Saal.«
Philip Matthews, ihr Anwalt, zog sie am Ellenbogen hoch und führte sie hinaus. Draußen wurde sie von Blitzlichtern geblendet. Matthews bugsierte sie rasch durch die Menschenmenge und verfrachtete sie in das wartende Auto. »Ihre Eltern sind schon zu Hause«, sagte er beim Anfahren.
Mollys Eltern waren eigens aus Florida angereist, um ihr beizustehen. Sie hatten sie überreden wollen, aus dem Haus auszuziehen, in dem Gary gestorben war, doch Molly brachte das nicht über sich. Schließlich war es ein Geschenk ihrer Großmutter, und sie hing sehr daran. Aber auf Drängen ihres Vaters hatte sie wenigstens das Arbeitszimmer neu eingerichtet. Alle Möbel wurden weggegeben und der gesamte Raum umgestaltet. Molly ließ die schwere Mahagonitäfelung entfernen und löste die Sammlung antiker Möbelstücke und Kunstwerke auf, an der Gary so gehangen hatte. Seine Gemälde, Skulpturen, Teppiche, Öllampen, der massive Schreibtisch, das mit rotbraunem Leder bezogene Sofa und die Sessel mußten einer bunten Chintzcouch, einem passenden Zweisitzer und Tischen aus heller
Eiche weichen. Dennoch blieb die Tür zum Arbeitszimmer stets geschlossen.
Das wertvollste Stück der Sammlung, eine siebzig Zentimeter hohe Bronzefigur, ein Original von Remington, das ein Pferd mit Reiter darstellte, befand sich noch in der Obhut der Staatsanwaltschaft – denn damit hatte Molly Gary angeblich den Schädel eingeschlagen.
Manchmal, wenn Molly sicher war, daß ihre Eltern schliefen, schlich sie nach unten, stand auf der Schwelle zum Arbeitszimmer und versuchte, sich in allen Einzelheiten daran zu erinnern, wie sie Gary aufgefunden hatte.
Doch so sehr sie sich auch das Hirn zermarterte, sie wußte nicht mehr, ob sie ihn an jenem Abend angesprochen hatte oder auf ihn zugegangen war, als er am Schreibtisch saß. Und sie konnte auch nicht sagen, ob sie nach der Skulptur gegriffen, die Vorderbeine des Pferdes gepackt und so kräftig ausgeholt hatte, daß der Schwung genügte, um Gary den Schädel zu zerschmettern. Aber Polizei und Staatsanwalt behaupteten, so hätte es sich abgespielt.
Als sie nun nach einem erneuten Verhandlungstag nach Hause kam, bemerkte sie die wachsende Besorgnis ihrer Eltern. An ihrer Umarmung spürte Molly, daß sie sie beschützen wollten, aber sie war wie erstarrt.
Ja, ihre Eltern waren ein hübsches Paar, das sagten alle. Molly wußte, daß sie ihrer Mutter Ann sehr ähnelte. Walter Carpenter, ihr Vater, überragte sie beide. Inzwischen war sein früher blondes Haar, das er von seiner dänischen Großmutter geerbt hatte, ergraut.
»Jetzt könnten wir einen Cocktail sicher gut gebrauchen«, meinte er nun und ging zur Hausbar.
Molly und ihre Mutter tranken Wein, Philip bat um einen Martini. »Wie sehr hat uns Blacks Aussage heute geschadet, Philip?« fragte Walter, als er ihm das Glas reichte.
Molly merkte Philip Matthews an, daß er sich ungemein bemühte, Zuversicht zu verbreiten. »Ich glaube, ich kann noch einiges retten, wenn ich ihn mir erst mal vorknöpfe.«
Der achtunddreißigjährige Verteidiger Philip Matthews war inzwischen eine Art Medienstar geworden. Mollys Vater hatte seiner Tochter versprochen, ihr den besten Anwalt zu besorgen, den man für Geld bekommen konnte. Und Matthews entsprach trotz seiner Jugend genau seinen Vorstellungen. Hatte er es nicht geschafft, daß das Verfahren gegen einen Medienmogul wegen Mordes an seiner Frau eingestellt wurde? Ja, dachte Molly, aber schließlich hatte man den Mann nicht von Kopf bis Fuß blutverschmiert aufgefunden.
Sie spürte, wie sich ihre Benommenheit ein wenig legte, obwohl sie mittlerweile aus Erfahrung wußte, daß dieser Zustand nicht von Dauer sein würde. Allerdings war ihr klar, wie die Dinge auf die Menschen im Gerichtssaal, vor allem auf die Geschworenen, wirken mußten. »Wie lange dauert der Prozeß noch?« fragte sie.
»Ungefähr drei Wochen«, erwiderte Matthews.
»Und dann werde ich schuldig gesprochen«, stellte sie ruhig fest. »Halten Sie mich nicht auch für die Täterin? Jedenfalls glaubt offenbar alle Welt, ich hätte Gary aus Wut getötet.« Sie seufzte erschöpft. »Neunzig Prozent der Geschworenen denken, ich lüge, wenn ich erkläre, daß ich mich an nichts erinnern kann. Und der Rest vermutet, daß bei mir eine Schraube locker ist.«
Gefolgt von den anderen, ging sie den Flur entlang zum Arbeitszimmer und öffnete die Tür. Wieder kam sie sich vor, wie in
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