Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
einem Traum. »Vielleicht war ich es wirklich«, murmelte sie mit tonloser Stimme. »Ich weiß noch, wie ich in dieser Woche in Cape Cod am Strand spazierengegangen bin und das alles so gemein fand. Ich war fünf Jahre lang verheiratet, hatte eine Fehlgeburt und bin endlich wieder schwanger geworden. Doch auch dieses Kind habe ich nach vier Monaten verloren. Erinnert ihr euch? Ihr seid sogar aus Florida gekommen, weil ihr euch solche Sorgen um mich machtet. Ich war am Ende. Und dann, nur einen Monat nach der zweiten Fehlgeburt, hebe ich das Telefon
ab und höre Annamarie Scalli mit Gary sprechen. Und alles, was ich verstand, war, daß sie schwanger von ihm war. Ich war so wütend und so gekränkt, und ich dachte, Gott hat die Falsche bestraft, als er mir mein Baby genommen hat.«
Ann Carpenter legte den Arm um sie, und diesmal ließ Molly es geschehen. »Ich habe solche Angst«, flüsterte sie. »Ich habe solche Angst.«
Philip Matthews nahm Walter Carpenter beiseite. »Setzen wir uns in die Bibliothek«, schlug er vor. »Ich glaube, wir müssen der Wirklichkeit ins Auge sehen und versuchen, eine Abmachung mit der Staatsanwaltschaft zu treffen.«
Molly stand vor dem Richter und bemühte sich, den Worten des Staatsanwalts zu folgen. Philip Matthews hatte ihr erklärt, der Staatsanwalt sei nach einigem Zureden mit einer Anklage wegen Totschlags einverstanden gewesen, ein Delikt, das mit zehn Jahren Haft bestraft wurde. Denn der Schwachpunkt in seiner Darstellung des Falls war Annamarie Scalli, Gary Laschs schwangere Geliebte, die noch nicht ausgesagt hatte. Der Polizei gegenüber hatte sie behauptet, am Sonntag abend allein zu Hause gewesen zu sein.
»Der Staatsanwalt weiß, daß ich den Verdacht auf Annamarie lenken werde«, sagte Matthews zu Molly. »Auch sie hatte allen Grund, wütend auf Gary zu sein. Möglicherweise schaffen wir es, daß die Geschworenen sich nicht auf ein Urteil einigen können, aber falls Sie dennoch verurteilt werden, droht Ihnen lebenslänglich. Wenn Sie sich jedoch des Totschlags schuldig bekennen, sind Sie sicher schon in fünf Jahren wieder draußen.«
Nun war sie an der Reihe, das auszusprechen, was von ihr erwartet wurde. »Euer Ehren, ich kann mich zwar nicht mehr an diese schreckliche Nacht erinnern, doch ich muß gestehen, daß die Beweise der Staatsanwaltschaft schlüssig
sind und auf mich als Täterin hindeuten. Ich gebe zu, die vorgelegten Beweise zeigen, daß ich meinen Mann getötet habe.« Das ist bestimmt nur ein Alptraum, dachte Molly. Gleich wache ich auf und bin wohlbehalten wieder zu Hause.
Fünfzehn Minuten später hatte der Richter sie zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sie wurde in Handschellen zu dem Transporter geführt, der sie ins Niantic-Gefängnis bringen sollte, die staatliche Justizvollzugsanstalt für Frauen.
Fünfeinhalb Jahre später
1
G us Brandt, der Produzent des Kabelsenders NAF, sah von seinem Schreibtisch im Gebäude Rockefeller Plaza Nummer 30 in Manhattan auf. Fran Simmons, seine neue Reporterin für die Sechs-Uhr-Nachrichten, war gerade hereingekommen. Fran hatte außerdem die Aufgabe, regelmäßig Beiträge für die beliebte Sendereihe mit dem Titel Wahre Verbrechen zu liefern, die seit kurzem ausgestrahlt wurde.
»Ich habe es eben erfahren«, sagte Gus aufgeregt. »Molly Carpenter wird auf Bewährung freigelassen. Nächste Woche ist es soweit.«
»Sie hat endlich Bewährung gekriegt!« rief Fran. »Das freut mich aber.«
»Ich war nicht sicher, ob Sie sich noch an den Fall erinnern. Vor sechs Jahren lebten Sie schließlich in Kalifornien. Wissen Sie viel darüber?«
»Eigentlich alles. Vergessen Sie nicht, daß ich mit Molly auf der Cranden Academy in Greenwich war. Während des Prozesses habe ich mir die Lokalzeitungen schicken lassen.«
»Sie sind zusammen zur Schule gegangen? Das ist ja großartig. Ich möchte so bald wie möglich eine Reportage über sie bringen.«
»Klar. Aber Molly und ich stehen uns nicht sehr nah, Gus«, warnte ihn Fran. »Seit wir unseren Abschluß gemacht haben, habe ich sie nicht gesehen, und das war vor
vierzehn Jahren. Als ich an der University of California zu studieren begann, ist meine Mutter nach Santa Barbara gezogen, und ich habe fast alle meine früheren Freunde aus Greenwich aus den Augen verloren.«
Für den Umzug nach Kalifornien hatten Fran und ihre Mutter eine Reihe von Gründen gehabt, sie wollten Connecticut so weit wie möglich hinter sich lassen. Am Tag von Frans Schulabschluß hatte ihr
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