Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
wird niemals rechtzeitig zurückkehren«, sagte er, als sie auf ihre Uhr blickte. »Ihm bleibt nicht mehr genug Zeit. Und wir werden dann schon fort sein - für immer.«
Victoria spürte, wie Panik sie erfasste. Herzzerreißende Panik. Nicht, weil sie um ihr Leben fürchtete, sondern weil seine absolute Gewissheit ihr Furcht einflößte. Sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, ihre Stimme und ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu halten. Etwas, worin sie geübt war - und was ihr ausgerechnet jetzt nicht gelingen wollte.
Weil er w usste, was für sie auf dem Spiel stand.
»Bitte, wenn Sie gehen wollen, gehen Sie - ich werde Sie nicht aufhalten.«
Nun blickte er doch noch einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass niemand auf sie achtete. Zufrieden sah er sie dann an, den Mund verächtlich verzogen. Noch eine Bewegung, und die Öffnung in seinem Stock gab eine schmale Klinge frei - jene Klinge, die so viele Leben ausgelöscht hatte.
»Sie können mich nicht aufhalten. Niemand kann das.«
Wieder lächelte er auf diese unheilvolle Weise, und am liebsten hätte sie ihn hier und jetzt getötet, aber er zog sie weiter in den Wald.
Er brachte sie zurück.
Becket löste seine Krawatte, um ihr damit die Hände auf dem Rücken zusammenzubinden. Victoria wehrte sich verzweifelt - und verlor. Heftig schlug er ihr ins Gesicht - aber die Kratzer auf seinem Gesicht und der hässliche Riss an seiner Lippe waren es wert. Doch schließlich dämpften ihre Waffe und das Stilett ihr Temperament, und Victoria blieb nichts anderes übrig, als auf eine neue Chance zu warten. Sie fühlte sich entsetzlich hilflos ohne ihre Waffe, ohne die Hände gebrauchen zu können. Sie hatte darauf verzichtet, sich wie sonst ein Messer ans Bein zu binden, weil sie gar nicht in Betracht gezogen hatte, dass sie alles dermaßen verpatzen könnte. Nur eine Sekunde lang habe ich nicht aufgepasst, dachte sie missmutig und beugte und streckte ihre Finger, damit sie nicht taub wurden.
Sie kämpften sich voran, Victoria ohne Mühe, doch Becket hatte Schwierigkeiten. Er war an Luxus gewöhnt. Und daran, andere zu töten. Ständig war sie sich der Klinge bewusst, die sie bedrohte. Eine kurze Drehung des Handgelenks würde genügen, um ihr die Kehle durchzuschneiden oder sie ihr ins Herz zu treiben, und sie könnte nichts tun, um ihn daran zu hindern.
An seinen Händen klebte so viel Blut, und es erfüllte sie mit Abscheu, dass er sie berührte, ihr so nahe war. Sie versuchte schneller zu gehen, doch er zog sie wieder an sich heran. Er war erregt, und er würde entkommen, weil er sie als Geisel genommen hatte. Wenn er ihr Gewalt antun wollte - nun, das würde sie überstehen, denn es gäbe ihr vielleicht die Möglichkeit, ihn zu verwunden oder zu flüchten.
Es schien wie eine Ironie des Schicksals, dass nun er sie in ihre Zeit zurückgeleiten würde statt sie ihn. Ihr einziger Trost war, dass er nicht ahnte, was ihn auf der anderen Seite erwartete.
Oder war er sich dessen doch bewusst?
Würde er sie tatsächlich dorthin zurückbringen, woher sie gekommen war? Oder konnte er den Durchgang, anders als sie, kontrollieren? Sie musste dies unbedingt herausfinden.
Chris legte das Tagebuch in den Safe in seinem Büro und wollte ihn schon verschließen, als sein Blick auf ihren Rucksack fiel. Sie hatten ihn dort deponiert, weil es ihnen am sichersten erschien. Es war wie eine Vorahnung, dass Chris ihn jetzt herausnahm. Er hatte den Safe gerade wieder verschlossen, als er eiliges Hufgeklapper vernahm.
Jemand rief seinen Namen, und noch bevor Chris zur Tür gelangen konnte, stürzte Seth schon herein.
»Beeil dich. Ich fürchte, er wird ihr etwas antun.«
In Windeseile schwang Chris sich auf Caesar und ritt los, als
sei der Teufel hinter ihm her. Seth folgte ihm. Die Leute auf dem Festplatz stoben auseinander, als sie herandonnerten.
Noble eilte herbei. »Ich kann sie nirgendwo entdecken. Niemand hat sie gesehen.«
Lucky rannte auf ihn zu, in Tränen aufgelöst. »Sie ist weg!«
»Nein, mein Junge, ich werde sie finden«, erwiderte Chris und hob ihn zu sich in den Sattel. Stockend berichtete der Junge ihm, was passiert war, und Chris erkannte, dass er sich die Schuld daran gab.
»Du kannst nichts dafür, Lucky!«
»Aber sie hat ihm den Revolver gegeben!«, schluchzte der Junge. »Damit er mich losließ.«
Chris verspürte plötzlich Angst. »Ich hätte das Gleiche für dich getan, Lucky«, antwortete er und drückte den Jungen
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