Wer bin ich ohne dich
Rücktritt Ralf Rangnicks mit dem Hinweis auf die enorme Belastung von Fußballtrainern: Sie seien 24 Stunden im Einsatz und trügen eine enorm große Verantwortung – auch für das, was sie kaum beeinflussen könnten.
Auch Frauen, die depressiv erkranken, sind 24 Stunden im Einsatz. Auch sie tragen Verantwortung für viele Menschen und versuchen oftmals, das Unmögliche möglich zu machen und zu beeinflussen, was sie nicht beeinflussen können. Ihr Leben verläuft vielleicht nicht so spektakulär wie das eines Fußballtrainers, für ihren täglichen Marathonlauf bekommen sie keine Medaillen, und sie schreiben über ihre Erfahrungen auch keine Bücher, die | 9 | zu Bestsellern werden. Weil sie nicht prominent sind, und weil die Leistung, die sie erbringen, von ihnen selbst und auch von anderen meist als selbstverständlich und als »nichts Besonderes« betrachtet wird, erhalten sie, wenn sie am Ende ihrer Kraft sind, nicht die Auszeichnungsdiagnose Burnout. Ihr Problem bekommt ein anderes, weniger schickes Etikett: Depression. Die »Fußballtrainerinnen des Alltags« können nicht auf die einfühlsame Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zählen, sie werden nicht verständnisvoll begleitet, und sie werden auch nicht gelobt für ihre Leistung und ihren tagtäglichen Spagat zwischen Beruf und Familie, Kindern und Karriere.
Anders als Burnout-Erkrankte kommen diese Frauen auch gar nicht auf die Idee, ihre Belastungen an die Öffentlichkeit zu tragen. Im Gegenteil: Niemand soll ihnen die Anstrengung ansehen, niemanden wollen sie mit ihren Sorgen und Problemen belästigen. Sind sie dann irgendwann völlig erschöpft, wissen sie nicht mehr weiter und drohen unter der Last der Verantwortung und der Aufgaben zusammenzubrechen, geben sie meist sich selbst die Schuld: Sie haben sich nicht genug angestrengt, sie haben etwas falsch gemacht, sie haben das Gefühl, »nicht richtig« zu sein. Ihnen fehlt das Verständnis für sich selbst, und oftmals bekommen sie auch von ihrer Umgebung nicht das Mitgefühl, das sie in ihrer Situation dringend nötig hätten. Wo Burnout adelt, stigmatisiert die Depression. Da können Experten noch so oft betonen, dass es keinen Unterschied zwischen diesen beiden Erkrankungen gibt, dass Burnout im Grunde nur den Prozess beschreibt, der in die Depression führt – die Depression hat immer noch ein schlechtes Image. Sich selbst und dem sozialen Umfeld einzugestehen »Ich bin depressiv« ist auch heute noch deutlich schwieriger als zu sagen »Ich leide unter Burnout«.
Natürlich ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass seelische Erkrankungen und der Wahnsinn unserer leistungsorientierten Ge | 10 | sellschaft nun unter der Überschrift »Burnout« offener diskutiert werden. Doch leider gerät dabei nicht nur dessen Gemeinsamkeit mit der Krankheit Depression aus dem Blickfeld, es entsteht auch so etwas wie ein Zweiklassensystem seelischer Erkrankungen: hier die hart schuftenden Leistungsträger, dort die Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – zu schwach fürs Leben sind. Diese Entwicklung ist grundsätzlich fatal, für eine bestimmte Gruppe von Betroffenen hat sie jedoch besonders negative Auswirkungen: für depressive oder depressionsgefährdete Frauen. Weil die Scheinwerfer der Öffentlichkeit vor allem das Thema »Burnout« beleuchten, geraten sie noch mehr in den Hintergrund.
Stress und Beziehung: Was Frauen krank macht
Dieses Buch rückt die weibliche Depression in den Mittelpunkt und geht der Frage nach, welche Faktoren tatsächlich für die hohe Erkrankungsrate der Frauen verantwortlich sind. Dabei konzentriert es sich auf zwei Schwerpunkte.
Es will erstens zeigen, dass eine wesentliche Ursache der weiblichen Depression in der Stressbelastung von Frauen liegt, die sich erheblich von der Stressbelastung der Männer unterscheidet. Diese Feststellung zu treffen heißt nicht, die Stressoren, denen Männer ausgesetzt sind, als unbedeutend zu werten. Auch sie stehen unter erheblichem Druck, vor allem berufliche und finanzielle Schwierigkeiten können sie seelisch belasten. Aber es gibt signifikante Unterschiede zwischen dem Stress der Män | 11 | ner und dem Stress der Frauen – Unterschiede, die das erhöhte Risiko von Frauen erklären können. Depression kann selbstverständlich alle chronisch belasteten Menschen treffen; Frauen aber stehen unter sehr viel mehr und ganz besonderem Druck, der in einem Männerleben weniger ausgeprägt ist oder gar nicht existiert. Deshalb ist das
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