Wer Bist Du, Gott
zu tun, was gerade dran ist. Das Alltägliche tun. Das Gewöhnliche tun. Die Chinesen wussten von dieser Spiritualität, wenn sie sagen: Tao ist das Gewöhnliche, das Alltägliche. Im konkreten Alltag zeigt sich, ob ich ein spiritueller Mensch bin oder nicht.
WUNIBALD MÜLLER: Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die Konkretisierung Gottes in der Person Jesus Gott konkreter macht. Gott wird Wirklichkeit und ist Wirklichkeit in unserer Welt, und das hat Konsequenzen. Das gilt auch für jene, die anscheinend besonders viel von Gott wissen oder zu wissen meinen - ob wir beide da wohl auch dazugehören? Sie oder wir sind gut beraten, auf dem Boden zu bleiben und sich oder uns nicht aufzublähen, plötzlich zu glauben, mehr über Gott zu wissen, ihm näher zu sein und daraus Privilegien für sich oder uns abzuleiten.
Etwas anderes ist es für mich, bewusst Christ zu sein. Wenn ich sage: »Ich bin Christ«, dann klingt das zunächst so selbstverständlich. Das gehört einfach zu mir. Das ist immer schon so gewesen. Diese Aussage erhält aber etwas Frisches, etwas Neues, wenn ich von innen heraus, selbstbewusst - nicht arrogant - und fast froh sage: »Ich bin Christ.« Und dabei an den denke, von dem ich diesen Namen habe, Jesus, dem Christus. Ich bin nach ihm benannt.
Nach ihm! Nach ihm bin ich gerne benannt. Das ist ein Privileg, eine Ehre. Sein Anhänger bin ich gerne. Für mich heißt das, mein ganzes Leben, meinen Alltag immer wieder in Verbindung mit dem Gott Jesu Christi zu sehen, wie er mir durch das Alte und das Neue Testament vermittelt worden ist.
Jesus lässt sich nicht vereinnahmen
ANSELM GRÜN: Ja, ich bin gerne Christ. Allerdings tue ich mich damit manchmal schwer, wenn manche von sich sagen: »Ich bin ein entschiedener Christ. Ich habe mich ganz und gar für Jesus Christus entschieden.« Ich spüre in mir immer beides. Ich bin Christ und will Christ sein. Aber ich spüre in mir auch Bereiche, die noch nicht christlich sind, die noch nicht getauft sind. Sie will ich in die Begegnung mit Jesus bringen.
Aber ich darf mich als entschiedener Christ nicht über die anderen Christen stellen, denen ich das Entschiedensein abspreche. Für mich ist Jesus eine ständige Herausforderung, ihm nachzufolgen und mich seinen Worten zu stellen. Damit werde ich nie fertig sein. Ich werde mich nie bequem zurücklehnen können und sagen: »Ich bin ganz und gar Christ.« Ich bescheide mich mit der Aussage: »Ich will Christ sein. Ich bemühe mich, mit aller Kraft Jesus nachzufolgen.«
WUNIBALD MÜLLER: Wenn du von entschiedenen Christen sprichst, so stört mich an ihnen auch die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich auf Gott berufen. Da halte ich es mit Hans Küng (1978, S. 765), der schreibt: »Weil Jesus der zu Gott Aufgenommene ist, ist er im Geist der Lebendige, der Maßgebende für den einzelnen Christen ebenso wie für die kirchliche Gemeinschaft. Von diesem konkreten Maßstab her kann ich auch die Geister prüfen und scheiden: Keine Hierarchie und auch keine Theologie und auch kein Schwärmertum, die sich über Jesus hinweg, über sein Wort, sein Verhalten und Geschick hinweg auf den ›Heiligen Geist‹ berufen wollen, können sich auf den Geist Jesu Christi berufen.«
Das kann zu einer großen Herausforderung werden und ist es schon geworden, für den Einzelnen, aber auch für Kirchen und religiöse Gruppierungen, kirchliche Oberen und spirituelle Führer, die für sich in Anspruch nehmen, direkt von Gott instruiert worden zu sein. Ein Blick auf Jesu Wort und Verhalten macht deutlich, dass das, was sie sagen oder verlangen, damit nicht in Einklang zu bringen ist.
ANSELM GRÜN: Jesus lässt sich nicht vereinnahmen.Was mich an ihm so fasziniert, ist seine absolute Präsenz. Dort, wo er auftritt, müssen die Menschen Stellung beziehen. Keiner kann sich an seinen Worten und an seinem Verhalten herumdrücken. Jesus lässt ihn nicht in Ruhe. Er zwingt mich, die Augen zu öffnen und meine eigene Wahrheit anzusehen. Und er zwingt mich, immer wieder neu nach dem ganz anderen Gott Ausschau zu halten, der sich nicht in meine Vorstellungen von Gott hineinzwängen lässt, der in
den paradoxen Aussagen Jesu immer wieder anders erscheint, als der barmherzige Vater, als der mütterliche Gott, aber auch als der Gott, der mich in die Wahrheit führt, der mich herausfordert, mein Ego zu lassen und mich der unbegreiflichen Liebe Gottes zu überlassen.
Jesus als Freund
WUNIBALD MÜLLER: Ich
Weitere Kostenlose Bücher