Wer Bist Du, Gott
kann verstehen, dass manche oder vielleicht inzwischen auch viele Menschen Jesus zwar eine große Bedeutung zusprechen, aber an ihre Grenzen kommen, ihn auch als Gottes Sohn zu betrachten. Das ist ja auch nicht leicht zu verstehen. Ich kann mich gut Gott hinhalten, ihm alles überantworten, mich von dem Gefühl, von ihm berührt zu sein, ergreifen lassen. Es gibt Augenblicke, da ahne ich, dass Gott in mir wohnt. Auch kann ich in eine persönliche, direkte Beziehung zu Gott treten. Mit Jesus, der auf Erden gelebt hat, fällt mir das schwerer. Da ist er für mich mein Freund, mein Bruder, mein Begleiter. Inzwischen geht das besser. Dabei hat mir der inzwischen verstorbene geistliche Schriftsteller Henri Nouwen geholfen. Für ihn war Jesus ein Freund. Für seine persönliche Spiritualität war Jesus die Mitte, das Herz.
Ich erinnere mich an eine Eucharistiefeier mit Henri Nouwen im Jahr 1986 in einer kleinen Gruppe. Du warst damals auch dabei. Die offene und intime Art, in der Henri über und mit Jesus sprach, half mir, meine Zurückhaltung,
Jesus in der gleichen Weise anzusprechen und zu ihm zu beten, wie ich es mit Gott gut tun kann, aufzugeben. Der Glaube daran, dass Jesus von Gott nicht zu trennen ist, dass ich, wenn ich zu Jesus bete, zu Gott bete, hilft mir, sodass ich mir jetzt keine großen Gedanken mehr darüber machen muss. Ist es doch in jedem Fall Gott, an den ich mich wende und zu dem ich bete.
GOTT UND DER HEILIGE GEIST
»Hauche deinen Atem ganz in mich ein«
WUNIBALD MÜLLER: »Atme in mir, du Heiliger Geist«, schreibt der heilige Augustinus.Von dem Mystiker Wilhelm von Saint-Thierry (1993, S. 66), der im zwölften Jahrhundert lebte, stammt die Aussage: »Die sich zärtlich küssen, hauchen sich gegenseitig ihren Atem ein. Es ist ein Duft, von dem sie sich wunderbar durchdrungen fühlen. Nimm, Herr, meinen Hauch ganz in dich auf... und hauche deinen Atem ganz in mich ein - er ist ja ganz von deinem Duft erfüllt -, damit mein Atem, von deinem Wohlgeruch durchdrungen, nicht mehr schlecht riecht. Dein süßer Duft, o Süßester, soll künftig allezeit in mir verbleiben!«
Gibt es eine schönere und zugleich sinnlichere Beschreibung für den Heiligen Geist und sein Wirken? Der Heilige Geist als Liebhaber des Menschen, der dem Menschen seinen heiligen Atem einhaucht.
ANSELM GRÜN: Die Beschreibung des Heiligen Geistes durch Wilhelm von Saint-Thierry zeigt sehr konkret, wie
die Christen des Mittelalters den Heiligen Geist erfahren haben. Sie haben ihn vor allem im Atem erfahren. Sie haben ihn als Liebe erfahren. Rumi, der persische Dichter, sprach einmal vom Atem als dem Liebesduft Gottes. Wenn ich mir vorstelle, dass im Atem der Liebesduft Gottes mich durchdringt, dann bekommt mein Atem einen anderen Geruch, dann bekommt mein ganzer Leib einen anderen Geschmack. Ich schmecke mich anders. Ich fühle mich von Liebe durchdrungen. Dieser Liebesduft Gottes ist für uns Christen der Heilige Geist.
Auch wenn er uns manchmal so abstrakt erscheint, so ist er erfahrbar. Wir müssen den Atem, den wir in jedem Augenblick üben, nur unter dem wunderbaren Bild des Atems Gottes, des Liebesduftes Gottes vollziehen. Dann spüren wir den Heiligen Geist in uns. Dann entsteht in uns ein süßer Geruch. Die Mystikerinnen des Mittelalters sprechen von der dulcedo dei, von der »Süßigkeit Gottes«, die im Atem des Heiligen Geistes erfahrbar wird.
WUNIBALD MÜLLER: Dein inzwischen verstorbener Mitbruder Rudolf erzählte mir einmal, dass er sich beim Einatmen oft vorstellte, den Heiligen Geist einzuatmen. Für mich ist der Heilige Geist auf vielfältige Weise spürbar, vor allem als Liebe Gottes. Er ist »der Geist der Gnade, der unverdienbaren Gnade, das unberechenbare Wunder der Liebe Gottes« (Rahner 1990, S. 314). In den Sakramenten der Kirche, in unseren Gebeten kommen wir in Berührung mit dem Heiligen Geist. Aber auch in alltäglichen Erfahrungen können wir, wenn wir offen dafür sind, sein Wirken ausmachen. C.G. Jung verweist darauf, dass wir oft eine große Scheu
davor haben, in alltäglichen Dingen oder auch in unseren Träumen das Wirken des Heiligen Geistes zu spüren. Wenn starke Erfahrungen geweckt werden, die auf die Anwesenheit oder das Wirken des Heiligen Geistes hinweisen könnten, sind wir skeptisch.
Eine kritische Haltung gegenüber Phänomenen, die mit unserer nüchternen Einstellung zur Welt nicht leicht in Einklang zu bringen sind, sollte aber nicht dazu führen, solche starken
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