Wer Bist Du, Gott
Erfahrungen gänzlich unbeachtet zu lassen.Wir versagen uns damit auch eine Erfahrungsweise, die eine große Bereicherung für unser Leben darstellen kann. Wenn ich meine, in therapeutischen Gesprächen solche starken Erfahrungen, etwa in den Träumen, zu entdecken, dann mache ich darauf aufmerksam und ermutige dazu, den Traum auch im Lichte dieser Erkenntnis und Erfahrung zu deuten und auf sich wirken zu lassen.
ANSELM GRÜN: Karl Rahner hat in einer Meditation einmal beschrieben, wie der Heilige Geist mitten in den alltäglichen Erfahrungen unseres Lebens am Werk ist. Der Heilige Geist wirkt in uns, wenn wir versuchen, Gott zu lieben, »dort, wo keine Welle einer gefühlvollen Begeisterung einen mehr trägt, wo man sich und seinen Lebensdrang nicht mehr mit Gott verwechseln kann, dort wo man meint zu sterben an solcher Liebe« (Rahner, Schriften zur Theologie Bd. 3, 1957, S. 106). Überall dort, wo wir unser natürliches Empfinden übersteigen, ist der Heilige Geist am Werk und gibt unserem Leben einen neuen Geschmack.
In uns ist eine Quelle des Heiligen Geistes
WUNIBALD MÜLLER: Ich verbinde mit dem Heiligen Geist auch eine besondere Kraft, die mir aus meiner Tiefe heraus zuwächst. Diese Kraft ist stärker als alle anderen Kräfte, die ich kenne. Manchmal spüre ich diese Kraft zu Beginn eines Tages besonders stark. Als Triebfeder, die mich in den Tag hineingehen lässt. Ich bin dann in Berührung mit der Kraft, erfahre sie als eine Lebensquelle. Im Getriebe des Alltags, in den täglichen Konflikten und Auseinandersetzungen übernehmen sehr bald wieder andere Kräfte die Führung.
Doch diese Kraft, damit darf ich rechnen, wird mir immer wieder geschenkt. Manchmal genügt die reinigende Kraft der Nacht und der Träume, um den Zugang zu ihr freizulegen. Ein anderes Mal kann eine Meditation dazu beitragen, wieder mit ihr in Berührung zu kommen. Auch in meiner Sehnsucht nach Gott spüre ich diese Kraft als treibende Kraft.
Es ist jedenfalls eine Kraft, die konkret in meinem Leben erfahrbar ist und in mein Leben hineinwirkt, sodass ich mit Karl Rahner (1990, S. 308f.) sagen kann: »Der Heilige Geist des ewigen Gottes ist gekommen, er ist da, er lebt in uns, er heiligt uns, er stärkt uns, er tröstet uns, er ist das Unterpfand des ewigen Lebens, das Angeld des grenzenlosen Sieges.«
ANSELM GRÜN: Für mich ist ein wichtiger Weg, mich von Gottes Kraft erfüllen zu lassen, die Meditation biblischer Worte.Wenn mich in der Klosterverwaltung nichts als Probleme zudecken und ich mich am liebsten auf mich
selbst zurückziehen möchte, dann hilft mir folgender Psalmvers: »Mit dir erstürme ich Wälle. Mit meinem Gott überspringe ich Mauern« (Ps 18,30). Ich lasse diesenVers in mein Herz fallen. Dann bringt mich das Wort der Schrift in Berührung mit der Kraft, die auf dem Grund meiner Seele schlummert. Ich bin oft zu sehr auf meine Ohnmacht fixiert. Ich habe das Gefühl, alles sei zu viel, alles wächst mir über den Kopf.
Die Meditation des biblischen Wortes zeigt mir, dass auf dem Grund meines Herzens auch eine Quelle der Kraft zu finden ist. Diese Kraft will geweckt werden, damit sie mir bewusst wird, damit sie in meinen Leib und in meine Seele dringen und mich stärken kann.
WUNIBALD MÜLLER: Wenn wir uns von dieser Kraft leiten lassen, dann sind das die Momente in unserem Leben, in denen wir ganz von innen heraus leben, in denen wir uns ganz von der Kraft, die von innen kommt, bestimmen lassen. Diese Kraft entströmt unserer göttlichen Quelle.Von dorther bekommt sie, was sie zu der Kraft macht, die unser Leben bestimmt. Das aber macht sie zu einer Kraft, die von anderer Art ist als alle anderen Kräfte, die außen ihre Energiequelle haben. Die Kraft, die wir aus unserem Innersten kommend in uns spüren, ist die Kraft, die Gott in unserer Seele geweckt hat, und in der er selbst uns im Innersten unserer Seele begegnet. Wir dürfen seine Anwesenheit in uns als leises Singen unserer Seele erfahren.
ANSELM GRÜN: Die christliche Tradition bringt diese Quelle der Kraft mit dem Heiligen Geist in Berührung. In
mir ist eine Quelle des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist stärkt mich und schenkt mir Kraft. Ich bin nicht nur auf meine eigene Kraft angewiesen, auf die Kraft meines Willens oder meines Verstandes. Wenn ich mich kraftlos fühle, dann kann ich mit dem wunderbaren Pfingsthymnus des heiligen Rhabanus Maurus beten: Infirma nostri corporis virtute firmans perpeti - »Was
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