Wer bist du, schöne Juno
erreicht hatte. Sie war nicht in sehr viel besserem Zustand. Nähere Betrachtung ließ vermuten, daß einige Stunden genügen würden, um sie, soweit Martin sehen konnte, in passableren Zustand zu versetzen.
Resignierend machte er sich aufs Warten gefaßt und kehrte zur Scheune zurück. Er stieg wieder auf den Dachboden und sah, daß die schöne Juno noch schlief. Das Morgenlicht drang durch die Dachluke und schien auf die blonden Locken der Frau. Die Lippen der Dame waren halbgeöffnet; der Atem ging gleichmäßig. Eine zarte Röte überzog ihren perfekten Teint. Eine Göttin aus Gold und Elfenbein; jedenfalls hatte Martin diesen Eindruck. Der größte Teil ihres Körpers war jedoch von der Kutschdecke verhüllt, sehr zu Martins Erleichterung.
Wer war die Frau? Ruhig kletterte Martin wieder die Leiter hinunter. Sollte die Unbekannte doch schlafen. Nach dem Unwetter brauchte sie wahrscheinlich Ruhe. Erneut auf festem Grund, rieb er sich das Gesicht. Ehrlich gesagt, konnte auch er noch einige zusätzliche Stunden Schlaf vertragen, war jedoch nicht so närrisch, um zu versuchen, an der Seite der schöne Juno im Stroh zu entspannen.
Der Vormittag war schon weit vorangeschritten, als Helen erwachte. Eine volle Minute lag sie da, verwirrt und desorientiert, ehe Erinnerungen an den vergangenen Abend ihr ins Bewußtsein kamen.
Sie war allein auf dem Dachboden. Abrupt setzte sie sich auf. Dann hörte sie die Stimme des Earl of Merton gedämpft aus der Ferne heraufklingen. Nach einem Moment begriff sie, daß er im Freien war und zu den Pferden sprach.
Eilig befreite sie sich von der Kutschdecke. Sie schüttelte sie aus und faltete sie säuberlich, ehe sie sie mit dem Mantel neben der Stiege auf den Fußboden legte. Dann, nach einem letzten Blick, mit dem sie sich vergewisserte, daß der Earl noch draußen war, stieg sie geziert die Leiter hinunter, die Röcke bis zu den Knien gerafft.
Erleichtert, daß sie unbemerkt unten angekommen war, ließ sie die Röcke herunter und versuchte vergeblich, die Knautschfalten zu glätten. Sie zog einige Strohhalme aus dem Haar und schnitt bei dem Gedanken, wie sie aussehen mußte, eine Grimasse.
Da war ein Eimer mit frischem Wasser neben der Leiter und, über die Seite gelegt, das linnene Taschentuch, das sie tags zuvor benutzt hatte. Rasch bespritzte sie das Gesicht und wusch sich die Hände. Sie trocknete soeben das Gesicht, als sie hinter sich Schritte vernahm.
„Ah! Die schöne Juno ist wach! Ich hatte soeben vor, Sie auszuräuchern.“
Sie drehte sich um. Im Tageslicht sah ihr Retter noch erschütternd besser aus als beim Schein der Laterne.
„Es tut mir leid. Sie hätten mich früher wecken sollen.“
„Ach, das macht nichts. Die Straßen sind erst jetzt trocken genug geworden, um die Weiterfahrt wagen zu können.“
Er griff nach dem Pferdegeschirr, das er an der Scheunenwand aufgehängt hatte.
Helen folgte ihm nach draußen, blieb vor dem Schober stehen und atmete tief in der frischen Morgenluft durch. Sie sah, daß er damit zu kämpfen hatte, die unruhigen Pferde aufzuzäumen, und ging zu ihm, um ihm zu helfen. Sie näherte sich bedächtig, damit sie die rassigen Rosse nicht verstörte. Dann ergriff sie das nächststehende Pferd an der Kandare, redete, Süßholz raspelnd, beruhigend auf das Tier ein und streichelte ihm die feuchten Nüstern.
Er nickte zustimmend, angenehm überrascht durch ihre praktische Unterstützung. Gemeinsam gelang es ihnen rasch, das Gespann an die Karriole zu schirren. Die Zügel in der Hand, ging er zu der Frau, um sie auf den Sitz zu heben.
„Hm, ich habe die Decke und den Mantel auf dem Dachboden gelassen“, sagte sie.
„Ich werde beides holen“, erwiderte Martin und übergab ihr die Zügel. „Passen Sie auf, daß die Pferde stillstehen.“
Er war in zwei Minuten zurück und verstaute Decke und Mantel hinter dem Kutschbock. Dann griff er nach den Zügeln.
Helen überließ sie ihm. Einen Augenblick später spürte sie seine Hände um die Taille. Ein Moment der Schwerelosigkeit folgte, und dann wurde Helen sacht auf den Sitz gesetzt. Sie strich den Rock glatt und dachte daran, daß unter all den zahlreichen Verehrern, die sie seit der Rückkehr in den ton umworben hatten, keiner sie innerlich je so berührt hatte wie der Earl of Merton.
Arthur, ihr verstorbener Gatte, hatte nie viel Zeit für sie gehabt. Er hatte sie, als sie noch ein linkisches sechzehnjähriges Mädchen gewesen war, des Geldes wegen geheiratet und sie schon
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