Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
finden würde. Außerdem hatte er sich finanziell abgesichert, für den Fall, dass er sein Leben, trotz aller schlechten Vorzeichen, doch noch retten konnte.
Die dem Feuer nicht zum Opfer gefallenen Schriften in der geheimen Bibliothek lagen noch immer unberührt an Ort und Stelle, davon hatte er sich in der letzten Nacht mit eigenen Augen überzeugt. Und in der heutigen Nacht würde er sie abholen und mit sich nehmen. Eines der Bücher trug er bereits bei sich, in der Innentasche des schwarzen Gewandes, in das er sich gehüllt hatte. Es war dasjenige Gewand, in dem der Priester ihn zum Opferaltar geführt hatte. Auch die beiden Fibeln, mit denen es vorne verschlossen wurde, hatte er von der Erde aufgelesen und mit einiger Anstrengung ihrer gebräuchlichen Verwendung zugeführt. Es waren sehr alte Fibeln, eine sorgfältige mittelalterliche Handarbeit. Und die zierlichen versilberten Symbole hatten nicht nur einen Schmuckwert, sondern auch ihre eigene Bedeutung.
Ihm war bewusst, dass er, wenn er sich in dieser Aufmachung – mit den verbundenen Händen und dem äußerst befremdlich anmutenden Gewand irgendwo blicken ließ, er sicherlich Aufsehen erregen würde. Und vermutlich nicht unbedingt im positiven Sinne. Abgesehen davon, dass er in der gesamten Umgebung mit großer Wahrscheinlichkeit als Mörder polizeilich gesucht wurde, wollte er sich diesen Radau in jedem Fall ersparen.
Die Dunkelheit der Nacht würde ihm genügend Schutz bieten, um die alten Schriften und sich selbst von hier fort zu schaffen. Doch ein unangenehmes Problem stand ihm noch im Weg, bis er diesen Ort verlassen konnte: Der Sattel, an dem er die Taschen anbringen musste, die er zum Transport der Restbestände der Bibliothek benötigte, musste auf dem Rücken des Pferdes gelegt und dort befestigt werden.
Erst nach einigen Minuten der Ruhe machte er sich auf, den Sattel zu holen.
Seine verletzten Hände stellten ohne Frage eine schwere Behinderung für ihn dar. Jede noch so winzige erscheinende Kleinigkeit stellte sich ihm als Hürde entgegen. Die Situation hatte sich sicherlich inzwischen gebessert – doch würde es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis er die Hände wieder regulär benutzen konnte. Falls sie überhaupt jemals wieder beschwerdefrei verheilen würden.
Das Satteln des Pferdes nahm etwa fünfmal so viel Zeit in Anspruch, wie er es gewohnt war. Das Tier zeigte sich bei dieser langwierigen Prozedur natürlich nicht von der geduldigen Seite und erschwerte den Vorgang damit nur noch.
Als er endlich das Pferd hergerichtet hatte, steckte er den rechten Arm durch die herabhängenden Zügel und führte so den Hengst aus dem Stall. Das schwere Schloss der Stalltür verriegelte sich, als er behutsam seine Handfläche darauf legte. Dann machte er sich auf dem Weg zum Haus. Er besaß für die Haustür ebenso wenig einen Schlüssel, wie für den Stalleingang. Zusammen mit der gesamten Kleidung, die er bei seinem Eindringen in die Bibliothek des Priesters getragen hatte, waren diese spurlos verschwunden. Doch das von des Priesters eigener Hand geschriebene Buch mit dem Titel ‚ Der neue Weg‘ , das zuletzt in Roberts Manteltasche gesteckt hatte, hatte er in einem vom Brand verschont gebliebenen Regal in dem geheimen unterirdischen Gewölbe wiedergefunden und es sogleich an sich genommen.
Auch das Schloss der Haustür öffnete sich problemlos nach einer kurzen, vorsichtigen Berührung mit der Hand. Lautlos bewegte er sich durch den dunklen Flur, die Treppe hinauf. Er war sich sicher, dass Katharina noch hier war. Er spürte ihre Nähe. Er fand sie schlafend in dem Zimmer, das er ihr vor vielen Wochen als Gast in seinem Haus zugewiesen hatte. Das mädchenhafte, sanfte Gesicht strahlte eine große Ruhe aus. Sie schien einen angenehmen Traum zu haben.
Er kniete sich neben ihrem Bett nieder, betrachtete sie einen Moment lang. Das einst so vertraute Gesicht schien im seltsam fremd, es löste kein besonderes Gefühl in ihm aus. Er hatte insgeheim gehofft, zu Gefühlen zurückzufinden, um die innere Leere der vergangenen Tage wieder auszufüllen.
Dianes blasses Gesicht – tot. Und er selbst hatte sie aus dem Leben gerissen.
Doch das Gedankenbild ihres auf dem Boden liegenden, leblosen Körpers löste überhaupt nichts in ihm aus: Kein Bedauern. Keine Schuld. Keine Wärme. Die Erinnerungen schienen aus dem Leben eines anderen Menschen zu stammen, gehörten nicht mehr zu ihm selbst. Seine Empfindungen für diese starke, kämpferische Frau
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