Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
genau erkannte. „Er lernt schnell und wird bestimmt auch einmal ein Meister. Er ist der beste Mann, den ich je in meiner Werkstatt hatte.“
„Warum ist er heute nicht hier?“ fragte
Herr Adlam daraufhin, während er jedoch seine Aufmerksamkeit weiterhin auf die Schnitzwerke richtete. Meister Rudolph beschlich zunehmend das Gefühl, dass diesem Mann nicht die geringste Kleinigkeit entging.
„Philip hatte einen kleinen Unfall. Er hat eine Verletzung an der Hand. Es wird aber nur ein paar Tage dauern, bis er wieder arbeiten kann.“
Ohne den Blick von einer schwungvoll gedrehten Säule mit Weinlaubranken zu nehmen, wollte Herr Adlam weiter wissen: „Welcher Art ist seine Verletzung? Haben Sie sie gesehen?“
Meister Rudolph nickte, obwohl ihn nur der Herr Pfarrer ansah und nicht der, der ihm die Frage gestellt hatte. „Philip war heute Morgen in der Werkstatt und hat mir seine Hand gezeigt. Er hat Brandblasen in der Innenfläche, weil er versehentlich den heißen Ofen damit berührt hat. Und weil ich möchte, dass er eine ordentliche Arbeit leistet und nicht wegen der Schmerzen mit dem Schnitzmesser oder der Säge ausrutscht, habe ich ihn nach Hause geschickt. Sie brauchen sich aber wirklich keine Sorgen zu machen, denn die paar Fehltage wird er bestimmt wieder herausarbeiten. Er ist ein guter Geselle.“
„Mmmh“, machte Robert Adlam gedankenverloren und wandte sich von der Säule ab, die er so gründlich inspiziert hatte, um nun den Meister anzusehen. Sein Gesicht schien verdüstert und der Bildhauer stellte nicht zum ersten Mal fest, dass dieser Mann eine rätselhafte Ausstrahlung besaß. Das lag nur zum Teil an seiner äußeren Erscheinung, den tiefschwarzen Augen und der distanzierten Art, sondern vor allem auch an etwas, das aus dem Innersten nach außen strahlte. Wahrscheinlich war diese Andersartigkeit auf seinen makabren, aber gleichfalls auch erstaunlichen Lebenslauf abzuleiten.
Meister Rudolph jedenfalls hatte großen Respekt vor diesem jungen Mann.
„Ich würde gerne wissen, wo Ihr Geselle Philip wohnt“, teilte Robert Adlam dem Bildhauer mit. „Ich werde ihm einen kurzen Besuch abstatten.“
„Ach, das wird nicht nötig sein“, wehrte Meister Rudolph erstaunt über dieses Ansinnen ab. „Er ist ja nicht wirklich krank, oder gar bettlägerig. Es wäre ihm vielleicht sogar peinlich, wenn Sie sich extra die Zeit nehmen würden...“
„Ich habe ihm eine Frage zu stellen“, unterbracht Herr Adlam den älteren Mann. „Es wäre kein Krankenbesuch.“
Das weckte die Neugierde in dem Bildhauer und er bohrte nach. „Sie können die Frage doch bestimmt auch mir stellen. Ich kenne Philip sehr gut, wir reden bei der Arbeit viel miteinander. Ist es privat, oder hat es etwas mit der Arbeit hier zu tun?“
„Es ist privat. Und er wird Ihnen nichts darüber erzählt haben“, blockte Herr Adlam die Nachfrage ab.
Dem Pfarrer schien es inzwischen langweilig zu werden, denn er begann, ungeschickt und recht lautstark mit dem Werkzeug herumzuhantieren, das Meister Rudolph neben dem Auferstandenen hatte liegen lassen. Der Bildhauer befürchtete, dass eins von den fertigen Einzelteilen beschädigt werden könnte und so lief er hastig zu der Werkbank, an der der Pfarrer sich befand und bat inständig: „Herr Pfarrer, bitte legen Sie die Sachen doch wieder hin! Sie könnten sich verletzen! Passen Sie auf, das ist sehr spitz!“
„Als ich ein Knabe war“, begann der Pfarrer mit ruhiger Stimme und besah sich eine augenscheinlich sehr scharfe Klinge, die er in der Hand hielt, „da habe ich mit dem Taschenmesser Madonnenfiguren aus Lindenholz geschnitzt. Meine Großmutter war entzückt von so viel Geschick...“
„Davon bin ich überzeugt“, bestätigte der Meister betont und nahm dem Geistlichen vorsichtig das Werkzeug aus der Hand, um es zurück an Ort und Stelle zu legen. „Aber wahrscheinlich konnten sie noch besser beten, als schnitzen, sonst wären Sie wohl ein Bildhauer geworden.“
„In der Tat“, lächelte der Pfarrer versonnen. „Der Herr gibt jedem sein ganz spezielles Talent mit auf den Lebensweg. Und ein jeder hat die Aufgabe, sein Talent so zu nutzen, dass es möglichst vielen anderen Mitmenschen zugutekommt.“
„Ja“, nickte der Bildhauer mit großer Ernsthaftigkeit.
„Der Herr Pfarrer hat mir berichtet“, warf Robert Adlam ein und Meister Rudolph wandte sich sofort wieder zu ihm um, „dass Sie sehr gut im Zeitplan liegen und es dabei bleibt, dass in sechs Monaten der
Weitere Kostenlose Bücher