Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
waren wie ausgelöscht.
Und mit Katharina ging es ihm ebenso.
Wie oft hatte er in dieses liebe, arglose Gesicht geblickt, mit dem stillen Bewusstsein, wieviel Wissensdurst dahinter steckte. Ein schlaues Kind, neugierig auf die ganze Welt, heute versteckt im Körper einer jungen Frau. Die innige Zuneigung zu diesem Mädchen, das etwa sieben Jahre lang ein fester Bestandteil seines Lebens gewesen war, war nunmehr eine bloße, vage Erinnerung.
Wer bist du? fragte er sie stumm. Sind wir uns jemals wirklich begegnet? Oder bist du nur ein Traumbild aus einer anderen Zeit?
Vielleicht hätte die Frage anders lauten sollen. Vielleicht hätte er danach fragen sollen, wer er selbst war.
Ein Griff in die Innentasche des Gewandes. Das dünne Papier neben dem Buch zu fassen zu bekommen, war ein kleiner Akt für sich, und dann legte er den vorbereiteten Umschlag auf den Nachttisch. Er wusste noch, er hatte Katharina einmal großes Vertrauen entgegengebracht, damals, in einem anderen Leben. Deshalb würde er seinen Plan nicht ändern. Sie sollte diese Nachricht erhalten und auch das Geschenk. Damit außer ihm noch jemand die Wahrheit kannte und verwahrte. Wahrscheinlich war alles auch nur ein verzweifeltes Suchen nach Verständnis.
E r war schließlich in Wahrheit ein Mörder. Man hatte ihn nicht verkannt. Das Schicksal hatte ihm eine Rolle zugewiesen, in die er sich zuerst gefügt, gegen die er aber dann irgendwann beinah panische Gegenwehr ergriffen hatte. Doch nun war der Kampf vorbei.
Ihm war bewusst, dass es auch in Zukunft wieder Tote auf seinem Weg geben konnte. Er richtete sich wieder auf, wandte sich von dem schlafenden Mädchen ab. Ohne einen weiteren Blick zurück zu werfen, verließ er das Schlafzimmer. Und gleich darauf das Haus, in dem er das erste Vierteljahrhundert seines Lebens verbracht hatte.
Sein Pferd trug ihn fort, auf seinen neuen Weg.
------- KATHARINA ------
„Dein Kopf ist nicht aus Holz. Die Wahrheit liegt zu deinen Füßen.“
Katharina betrachtete diese beiden merkwürdigen Sätze wohl schon zum tausendsten Male innerhalb der vielen vergangenen Monate, nachdem sie sie erhalten hatte, doch sie besaß noch immer keine Ahnung, welche Bedeutung in ihnen lag. Die Nachricht, die in einem Umschlag eines Morgens auf ihrem Nachttisch lag, war eindeutig von Roberts Hand geschrieben. Die Schrift war allerdings weniger sauber und gradlinig, als sie es von ihm kannte. Sie schien zittrig, unsicher.
Und die Nachricht trug keine Signatur, nicht einmal Roberts Initialen.
Er war in diesem Haus gewesen, hatte neben Katharinas Bett gestanden. Und sie hatte selig geschlafen und rein gar nichts bemerkt. Sein Pferd hatte er aus dem Stall geholt und mitgenommen. Der Pferdepfleger war am nächsten Morgen völlig am Boden zerstört bei Katharina aufgetaucht und berichtete ihr von dem vermeintlichen Diebstahl. Sie hatte den Mann in dem Glauben gelassen, sie seien tatsächlich bestohlen worden.
„Ich glaube“, murmelte Katharina vor sich hin, „mein Kopf ist doch aus Holz. Ich habe keine Ahnung, was du mir sagen willst...“
Nachdenklich ließ sie das Stück Papier wieder zurück in den Umschlag gleiten, wie sie es schon unzählbare Male vorher getan hatte. Vielleicht war sie ja völlig blind, was die Bedeutung der Nachricht betraf – und die Lösung befand sich irgendwo direkt vor ihrer Nase.
Die Haustürglocke läutete – und Katharina ging, um zu öffnen.
Sie hatte es irgendwann aufgegeben, sämtliche Besucher vor der Tür stehenzulassen. Schließlich war es mittlerweile Zeit, wieder zu einem einigermaßen normalen Leben zurückzukehren. Doch mit einem kurzen Blick durch ein günstig positioniertes Fenster musste sie sich noch immer jedesmal vergewissern, dass nicht der Rothans oder seine Knechte vor der Tür standen. Heute erblickte sie einen ihr völlig unbekannten Mann mittleren Alters in einem gediegenen Anzug. Er stellte sich als Architekt Edward Helsens vor und überreichte ihr mit feierlicher Miene einen Schlüssel und einen gefalteten Plan.
„Aber was soll ich denn damit anfangen?“ fragte Katharina den fremden Mann verwirrt.
„Das ist der Schlüssel zu einer
Kapelle, die unter meiner Leitung in der Nähe von Feldfes errichtet wurde“, war die Antwort.
Katharina hatte Roberts Gerede von der speziell für den heimatlosen Altar gebauten Kapelle eher für einen Scherz gehalten. Doch wusste sie genau, dass ihr Freund äußerst selten sinnlos daher redete.
„Das Bauwerk ist ein
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