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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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zeigen.
    Auch andere Jungen sah er dort an den langen Augustnachmittagen, Jungen in seinem Alter, und auch ohne Aufsicht wie er – sonnengebräunte kleine Wilde, die in Shorts und Turnschuhen mit makellos weißen Schnürsenkeln im Park herumstreunten. Besonders fielen ihm zwei auf, die fast jeden Tag mit ihren Fahrrädern herkamen. Er wusste, dass diese Räder mehr kosteten, als seine Mutter in einem Monat verdiente. Die Jungen fuhren Rennen und vollführten Kunststücke, und dann standen sie mit ihren Rädern zwischen den Beinen da und beobachteten ihn aus den Augenwinkeln. Er konnte nicht sagen, ob in ihren Blicken nur Interesse oder eine Drohung lag, aber an diesem Tag hielt er seine Gitarre ein bisschen fester und sah auf seine Uhr.
    Er hatte jetzt einen Zeitplan, an den er sich halten musste. Zuerst in den Park, dann für ein, zwei Stunden in die Bücherei, und dann nach Hause zum Abendessen. Später, wenn die Sonne hinter den Häusern auf der Westseite der Woodland Road versank und die Luft kühler wurde, setzte er sich mit der Gitarre auf den Knien vor die Tür und wartete.
    Er wusste auf die Minute genau, wann er den kleinen VW den Berg herauftuckern hören würde.
    »Ein Hotel, sagst du?«, fragte Gemma, als sie sich auf dem Beifahrersitz von Melodys knallblauem Renault Clio anschnallte. Nachdem sie rasch in Hose und Stiefel geschlüpft war und zum Pulli ihre cremefarbene Wolljacke angezogen hatte, war ihr nur noch Zeit geblieben, ihr wirres Haar zu einem kurzen, etwas schludrigen Zopf zu flechten. Jetzt sah sie, dass ihre Kollegin einen dunklen Hosenanzug zu einer türkisfarbenen Bluse trug und dass ihr dunkles, glänzendes Haar zu einer perfekten Bobfrisur gestylt war. Melody Talbot war die einzige Frau in Gemmas Bekanntenkreis, die einen Hosenanzug tragen konnte, ohne altbacken zu wirken, und an diesem scheußlichen Morgen ging ihr das ein wenig gegen den Strich.
    Melody schaltete vor der Ampel an der Holland Park Avenue herunter. »Ja, es heißt Belvedere.«
    Die Straßen glänzten vom Nieselregen, und Gemma war froh, dass sie wenigstens nicht im Freien arbeiten mussten. »Ist der DCS schon informiert?«, fragte sie. Die Leiterin ihres Teams, Detective Chief Superintendent Diane Krueger, würde die Ermittlung von der Polizeidirektion South London aus koordinieren.
    »Sie ist auf dem Weg zum Revier.«
    »Und das Team?«
    »Die Kriminaltechnik ist unterwegs, die Rechtsmedizin auch. Und Shara dürfte vor uns dort sein; sie wohnt ja in Brixton.«
    Gemma warf Melody einen Seitenblick zu und versuchte herauszuhören, ob ihr Tonfall irgendetwas verriet. Gleich nachdem Melody ihre Sergeant-Prüfung bestanden hatte, hatte Gemma um die Versetzung ihrer Mitarbeiterin in ihr neues Team in South London ersucht.
    Sie waren unterbesetzt, denn das Team hatte nicht nur den DCI , den Gemma nun ersetzte, durch einen schweren Herzinfarkt verloren, sondern auch einen Detective Sergeant, der zu einer anderen Abteilung gewechselt war.
    Aber Melody war gleich zu Beginn mit dem Detective Constable des Teams, Shara MacNicols, aneinandergeraten – wenngleich das nicht Melodys Schuld war.
    Shara war eine junge alleinerziehende Mutter und eine gute Polizistin, legte aber ein ausgeprägtes Revierverhalten an den Tag. Gemma gefiel es gar nicht, wenn es solche Spannungen in ihrem Team gab, doch sie wusste, dass sie die Probleme mit Geduld und Fingerspitzengefühl angehen musste. Sie konnte Shara gut verstehen – schließlich war es nicht so lange her, dass sie selbst mit Toby allein dagestanden hatte und sich im Job mit einem System konfrontiert sah, in dem sie von Anfang an benachteiligt schien. Und sie wusste, dass es für Shara den Anschein hatte, als ob Melody über ihren Kopf hinweg ins Team geholt worden wäre, nur weil sie weiß war und offensichtlich aus privilegiertem Elternhaus kam.
    Dabei legte sich Shara in Wahrheit durch ihre Komplexe nur selbst Steine in den Weg, doch die junge Frau würde das niemals wahrhaben wollen. Und dann, dachte Gemma mit einem Seitenblick auf ihre Kollegin und einem unterdrückten Lächeln, waren da Melodys Hosenanzüge und Kostüme. Man konnte es Shara vielleicht wirklich nicht verdenken, wenn sie Melody als Überfliegerin abgehakt hatte.
    »Ist das Opfer schon identifiziert?«, fragte sie und verdrängte damit erst einmal das Problem der Teamdynamik.
    Melody musste ihre Notizen nicht konsultieren. »Ein gewisser Mr Vincent Arnott. So steht es jedenfalls in dem Führerschein in seiner

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