Wer Boeses saet
seiner eigenen Existenz versichern. Ein sanftes, bleiches Gesicht, ein leichter Dreitagebart, braunes, sehr kurz geschnittenes Haar und volle Lippen, deren Konturen aber bereits erkennen ließen, dass die Zeit ihr Werk tat.
Da er tagtäglich mit einer Welt der Gewalt konfrontiert war, versuchte François, durch schwarze Kleidung härter zu wirken. Er trug ein modisches Schwarz, das an eine Zeit erinnerte, in der er noch regelmäßig in den schönen Vierteln dieser Stadt verkehrt war. Unter anderen Umständen hätte man ihn für einen Künstler halten können. Für einen eigenwilligen kreativen Geist, der sich von Amphetaminen ernährte und ein nachtaktives Leben führte.
Siebter Stock. Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr. An diesem Abend waren die Diensträume der OCRVP , der Operationseinheit zur Bekämpfung von Gewalt gegen Personen, wie leer gefegt. Ein paar Computer unterbrachen die herrschende Stille und bewiesen, dass die Polizei, allem Anschein zum Trotz, immer wachsam war.
Der Kommissar ging an seinem Büro vorbei, ohne stehen zu bleiben. Sein Bericht konnte warten, außerdem war er gegenwärtig außerstande, die Fakten objektiv zu Protokoll zu geben. Er wollte vor allem seine Wut loswerden.
Er lief etwa zwanzig Meter durch einen düsteren Gang und blieb dann vor einer angelehnten Tür stehen. Nachdem er zweimal höflich angeklopft hatte, ging er einfach hinein.
»Hallo, Roger.«
Polizeidirektor Roger Hénon saß, immer noch über seinen Laptop gebeugt, bei der Arbeit. Er hob den Kopf und murmelte mit geradezu tonloser Stimme:
»Du kommst ja wie gerufen. Ich wollte dich gerade anrufen.«
François setzte sich ihm gegenüber. Im matten Schein der Niederspannungslampe konnte man dem Gesicht des Leiters der OCRVP die Müdigkeit deutlich ansehen.
»Hübsches Hemd. Bei Gelegenheit verrätst du mir mal, wo du einkaufen gehst.«
Marchand war zu angespannt, um ein Schwätzchen zu halten. Der Blick, mit dem Georges ihn angesehen hatte, als der Pfeil seine Drosselvene durchbohrte, ließ ihn nicht mehr los.
»Ich nehme an, du weißt Bescheid über Montrouge?«
»Gombert hat es mir erzählt. Da hast du ja mal wieder einen schönen Schlamassel veranstaltet.«
»Was heißt hier Schlamassel? Hat man dir nicht gesagt, dass ich gerade dabei war, die Sache zu regeln?«
»Du bist vor allem ein gewaltiges Risiko eingegangen.«
»Das hatte ich im Griff.«
»Wirklich?«
Der Polizist warf seinem Vorgesetzten einen bösen Blick zu.
»Was soll denn das heißen?«
Hénon seufzte.
»Mensch, François! Jetzt komm mal wieder runter! Der Kerl hatte ein Jagdgewehr. Die Hütte stank nach Gas. Wolltest du zulassen, dass er das ganze Viertel in die Luft sprengt?«
Marchand sagte nichts darauf. Um nicht zu explodieren, ließ er seinen Blick zum Fenster schweifen. In der Ferne konnte man im bleichen Licht der Straßenlaternen die düsteren Fassaden der Vorstadtsiedlungen erkennen.
Der Polizeidirektor sprach weiter, jetzt klang seine Stimme freundschaftlich.
»Man hat nicht alles im Griff, François. Du musst deine Grenzen akzeptieren. Wie jeder andere auch.«
Ironisches Lächeln.
»Ist das alles, womit du aufwarten kannst?«
»Ich meine es nur gut.«
»Aber der Mann ist jetzt tot. Und das zu verhindern war meine Aufgabe.«
Sie schwiegen sich an, voller Groll. Hénon respektierte ihn. Er war ein herzensguter Mensch, dieser bullige Mann, der mit seinem Stiernacken und dem energischen Kinn wirkte wie ein Fels in der Brandung. Aufgrund seiner Statur, die an einen mit den Jahren ein wenig aus der Fasson geratenen Gewichtheber erinnerte, brachte man ihm Vertrauen und Respekt entgegen.
Am Ende sagte er nur:
»Schreib deinen Bericht, und vergiss die Sache. Ich brauch dich für was anderes.«
Marchand starrte seinen Vorgesetzten an. Der ernste Ton, die Begräbnisstimme. Er spürte, dass etwas Wichtiges folgen würde.
»Ich höre.«
»Es ist heute am frühen Nachmittag passiert. In einer verlassenen Hütte wurden menschliche Überreste gefunden. Arme, Beine, Thorax und Kopf. Abgeschnittene Körperteile.«
»Wo steht die Hütte?«
»Bei Roussillon im Département Vaucluse. Im Ockersteinbruch, hast du davon schon mal was gehört?«
»Nein. Aber rede weiter.«
»Laut den Ergebnissen der Leichenbeschau waren die Stücke relativ frisch. Nicht älter als vierundzwanzig Stunden.«
»Mann oder Frau?«
»Frau. Jung. Wir haben sie noch nicht identifizieren können.«
»Wurde sie vergewaltigt?«
»Weiß man noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher